Filmfest:Fenster zur Welt

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Soll Wilhelm Tell spielen: Punishment aus Simbabwe. (Foto: Simi Film)

Das Filmfestival wird an diesem Mittwoch mit einer Komödie über Asylbewerber eröffnet

Von Gerhard Summer, Starnberg

Der Ehemann ist weg, die jüngste Tochter ausgezogen, die aufgeblasenen reichen Freundinnen wollen ohne sie nach St. Moritz. Was also tun? Sabine Zündel, eine brave naive Hausfrau, die gern Rollkragenpullover und Pferdeschwanz trägt, kommt kurz vor Weihnachten auf eine erstaunliche Idee: Sie will mit Asylbewerbern Improvisationsschauspiel machen. Und bald reift der Plan, gemeinsam Schillers Freiheitsdrama "Wilhelm Tell" aufzuführen.

Verdammt mutige Sache. Der desinteressierte Deutschlehrer hat den Flüchtlingen im Wesentlichen nur einen Song auf die Melodie des Liedes "Von den blauen Bergen kommen wir" beigebracht. Das geht dann so: "Ich bin Ausländer und spreche nicht gut deutsch. . .bitte langsam, bitte langsam, sprechen Sie doch langsam, ich bin Ausländer. . ." Und außerdem: Steht den Asylbewerbern wirklich der Sinn danach, Theater zu spielen? "Lustig, lustig", sagt einer von ihnen, "aber wir sind nicht lustig". Der Mann wartet seit fünf Tagen auf ein Lebenszeichen seiner Familie aus Kurdistan. Punishment aus Simbabwe wiederum, der so heißt, weil seine armen Eltern das siebte Kind eher als Bestrafung betrachteten, kommt nicht mehr dazu, den Tell zu geben. Polizisten verhaften ihn vor der Vorstellung und schleppen ihn weg. Peter Luisis Komödie "Schweizer Helden" läuft bei der festlichen Eröffnung des 9. Fünfseen-Filmfestivals am Mittwoch, 18.30 Uhr, in den zwei Sälen der Schlossberghalle. An die 450 Besucher werden erwartet, darunter Ehrengast Michael Verhoeven, die Regisseure Fredi Murer, Edgar Reitz, Giulio Ricciarelli, Marcus H. Rosenmüller, Veith von Fürstenberg, Marc Haenecke, Mickel Rentsch und Walter Steffen. Außerdem die Produzenten Lena Schömann ("Fack-ju-Göhte"), Lukas Stepanik ("Ma Folie") und Jakob Claussen ("Jenseits der Stille"), die Schauspieler Edgar Selge und seine Frau Franzisca Walser, Marianne Sägebrecht sowie 15 eingeladene Asylbewerber. Natürlich rollen Helfer auf dem Vorplatz wieder den Teppich aus, der im Unterschied zu den Filmfestspielen von Cannes oder Venedig nicht rot, sondern blau wie Seewasser ist. Marieke Oeffinger, Schauspielerin aus Tutzing, übernimmt die Moderation und stellt die Mitglieder der acht Wettbewerbsjurys vor. Natürlich kommt auch Matthias Helwig, der Erfinder dieses immer größer werdenden Festivals mit nun 23 bayerischen und 18 weiteren deutschen Premieren, auf die Bühne und erzählt, warum er Luisis witzige und zugleich vorhersehbare, märchenhafte Komödie zum Auftakt ausgesucht hat.

Klar, Helwig und sein Team wollen ein Zeichen setzen. Schließlich ist das ein Thema, das alle beschäftigt und auch noch jahrelang in Atem halten wird: Wie also steht es in Deutschland oder im Landkreis mit der Gastfreundschaft? Wie freundlich oder unwirsch gehen wir mit Migranten um? Vielleicht so zynisch wie in der Schweiz, wo Flüchtlinge "ausgeschafft werden" und ein Durchgangszentrum mit DZ abgekürzt wird? Und ist das nicht schrecklich: dass es keine andere Möglichkeit gibt, als Menschen in Turnhallen-Kojen unterzubringen? Andererseits ist dieses cineastische Ereignis kein Flüchtlings-Fest. Außer "Schweizer Helden" läuft unter den 160 Filmen an zwölf Tagen nur ein zweiter, der sich mit diesem Thema befasst: Steffens Doku "Happy Welcome". Helwig kommt es mehr darauf an, zu zeigen, wie Menschen in fernen Dörfern, Großstädten, Wüsten und Küstenregionen leben, ob in Afrika oder Aserbaidschan, in der Türkei, auf Kuba, in Indien, Russland oder Osteuropa. Denn dieses Festival will ein Fenster zu einer Welt sein, die sich immer mehr im Aufbruch befindet.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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