Starnberg:Entwurzelt

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Sprachen und musizierten zu den Balkantagen: Denijen Pauljevic, Afraa Batous, Lea Heib und Rainer Kuhwald (v.li.). (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Künstler sprechen bei den Balkantagen darüber, was die Flucht aus der eigenen Heimat bedeutet

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Nachdem ihn nun die Hauptflüchtlingsroute durchquert, ist er einmal mehr im globalen Fokus: Der Balkan ist spätestens seit dem blutigen Zerfall Jugoslawiens eine der Sorgenregionen Europas, das hilflos zusah, als sich Menschen gegenseitig massakrierten und die einst so blühende und gastliche Region in Schutt und Asche legten. Sadija Klepo floh damals mit ihrer Familie aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland, doch nicht, um die Hände in den Schoss zu legen, zumal ihr die Bequemlichkeit des Wohlstands ohnehin nicht zuteil wurde.

Sie gründete die Organisation "Hilfe von Mensch zu Mensch", deren Vision es war, wieder die Menschen zu befrieden und die Balkanregion zu einer hoffnungsvollen, friedlichen und lebenswerten Region zu machen. Dazu initiierte der Verein die Balkantage, die in diesem zwölften Jahr ein Jubiläum feiern, das uns Deutsche daran erinnert, dass wir eine ganz besondere Verantwortung gegenüber dem Balkan haben. Vor 50 Jahren lockte das Kabinett Kurt Kiesinger Arbeitskräfte aus Jugoslawien nach Deutschland, die bald zum Wirtschaftswunder einen nicht unerheblichen Beitrag leisten sollten. Ćevapčići mit Ajvar und Sliwowitz hielten Einzug auf den Speisekarten. Heute weiß man nicht, welche Küche einen erwartet, wenn man den Balkangrill betritt. Das Brodeln vom Balkan ist längst auch hier angekommen.

Aber es brodelt nicht nur dort: Kriege allerorten treiben die Menschen nach dem "Traumland Deutschland", wie das provokante Motto der Balkantage 2018 lautet. Eine der Veranstaltungen fand zum zweiten Mal in Kooperation mit "Kunsträume am See" von und mit Elisabeth Carr den Weg nach Starnberg, diesmal in den evangelischen Gemeindesaal der Friedenskirche. Köstlichkeiten gab es auch hier, vor allem aber einen Einblick in die komplexe Lage der Geflüchteten und der Zurückgebliebenen. Wertvolle, gut ausgebildete Menschen seien den Ländern Ex-Jugoslawiens verloren gegangen und ganze Regionen entvölkert, sagte die einstige Journalistin Klepo. Wie sie im Podiumsgespräch betonte, wolle sie vor allem jungen Menschen wieder den Mut zurückgeben, ihre Heimat nicht zu verlassen, wohlwissend, dass nicht jeder Traum hierzulande wahr wird.

"Möglichkeitsräume und -träume der Kulturen", verkündete der Flyer zur Veranstaltung und verriet damit Carrs Handschrift. Beides waren Voraussetzungen, um einen vielversprechenden Dialog zu führen. Und die Kulturreferentin des Landkreises Barbara Beck erinnerte in ihrem Grußwort daran, dass es einen Dialog nur bei beidseitiger Öffnung geben könne.

Die junge Regisseurin Afraa Batous aus Aleppo porträtierte in ihrem ersten Film nach der Flucht aus Syrien Sadija Klepo in einer Kurz-Doku. Batous gelang es, innerhalb weniger Minuten eine tiefe Freundschaft zu begründen und den Menschen Klepo mit all dem erlebten Leid, aber auch mit ihrer unerschütterlichen Zuversicht zu skizzieren. Fliehen bedeute Verlust und Entfremdung, sagte der aus Belgrad stammenden Moderator und Autor Denijen Pauljevic. In Serbien sei er ein Deutscher mit Akzent, in Deutschland ein Serbe mit Akzent. Kennen würde er weder hier noch dort jemanden und bleibe zwischen zwei Welten. Das Prinzip der Entwurzelung.

Es ging an dem Nachmittag nicht darum, Geschehnisse dokumentarisch zu vermitteln, sondern dafür adäquaten künstlerischen Ausdruck in entspannter Atmosphäre zu finden. Für letzteres eignet sich nichts besser als der Liedgesang, in dem sich die Eigenheiten der einzelnen Volksgruppen deutlich spiegeln. Gewandt ließ Lea Heib die Stimmungen zwischen Serbien, Kroatien, Bosnien und Roma changieren, während Akkordeonist Rainer Kuhwald eine substanzvolle Basis bot. Mit Wehmut, Melancholie, Leidenschaft und tänzerischem Schmiss schlichen sich die erzählerischen Lieder mit meist heiteren Refrains in die Herzen der Zuhörer. Das Duo musizierte gefühlsbetont und rundete den so klugen wie erhellenden Diskurs mitreißend ab.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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