Amoklauf in München:Der Tag danach

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Die Menschen im Fünfseenland sind traurig und fassungslos über den Amoklauf. Überall war er beherrschendes Thema

Von Astrid Becker und Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Fassungslosigkeit und Trauer: Auch im Landkreis Starnberg hat der Amoklauf von München, bei dem neun Menschen ermordet und 35 verletzt wurden, tiefe Emotionen ausgelöst. Zwar fanden hier - anders als in München oder etwa im benachbarten Kreis Fürstenfeldbruck - fast alle geplanten Veranstaltungen statt. Einzig der "Dirndlflugtag" im Hotel "La Villa"am Sonntag wurde kurzfristig abgesagt. Echte Feierlaune wollte aber nirgendwo so recht aufkommen. Stolz auf Polizei und Rettungskräfte, die auch aus dem Kreis Starnberg zum Einsatz in die Landeshauptstadt gerufen worden waren, konnte man hingegen vielerorts spüren.

In Windeseile hatte sich die grausame Tat am Freitagabend herumgesprochen und wurde zum bestimmenden Thema. Beim Handballspiel der deutschen U 20-Nationalmannschaft in Herrsching gegen Slowenien interessierte sich kaum jemand der Zuschauer für das sportliche Großereignis. Jeder habe nur permanent in sein Handy geschaut, um herauszufinden, ob es den Angehörigen und Freunden aus München gut gehe, erzählt Landrat Karl Roth, der zum Spiel geladen war. Er selbst hatte erst kurz vor dem Spiel von den Schüssen am Olympia-Einkaufszentrum erfahren: "Einer meiner Söhne war dort. Plötzlich klingelte das Telefon und er sagte, ihm gehe es gut. Im ersten Moment war ich verblüfft über diesen Anruf, ich wusste ja noch von nichts." Als er erfuhr, was sich in München abspielt, war er entsetzt - als Familienvater, aber auch als ehemaliger Kriminalpolizist: "Zuerst war ja von mehreren Tatorten und mehreren Tätern die Rede - was das für die Sicherheitslage in München bedeutet hätte, nicht auszudenken." Polizei und Rettungskräfte hätten "ganze Arbeit" geleistet, sagt er - auch die Beamten, die zum Beispiel aus der Inspektion Starnberg und Gauting zum Einsatz in München beordert wurden: "Ich bin stolz auf sie." Sein tiefes Mitgefühl gehöre nun den Opfern und ihren Angehörigen. In den einzelnen Kommunen des Kreises wurden die Fahnen auf Halbmast gesetzt.

Im Einsatz waren Freitagnacht aber auch 76 Rettungskräfte und drei Ärzte aus dem Kreis Starnberg, die gegen 18.30 Uhr von der Leitstelle aufgerufen worden waren, sich im Gewerbepark Gilching zu sammeln und sich anschließend in die Feuerwache sechs in Pasing zu begeben. Dort bereiteten sie sich darauf vor, im Notfall vor Ort ein Behandlungszentrum aufzubauen und Verletzte medizinisch versorgen zu können. Als "sehr beklemmend" beschreibt der Kreisbereitschaftsleiter Ludwig Rauch die Situation, die ja lange Zeit unübersichtlich schien: "Wir hörten über unseren Funk von mehreren Tatorten und wussten nicht, wie sicher das für uns und unsere Helfer ist, es ist nicht einfach, mit so etwas umzugehen." Auch im Klinikum Starnberg trat der Notfallplan in Kraft, wie Klinikchef Thomas Weiler der SZ bestätigte. Die Leitstelle habe über einem möglichen Massenanfall von Verletzten informiert. "Wir haben erfahren, dass vor allem Kinder und Jugendliche unter den Opfern sein sollen. Darauf sind wir ja spezialisiert, also haben wir entsprechende Aufnahmekapazitäten bereitgehalten." Als "extrem professionell" bezeichnet auch er die Arbeit von Polizei und Rettungskräften: "In einer so unübersichtlichen Lage alles andere als selbstverständlich."

Ähnliches ist auch von den Veranstaltern der "Stegener Lebenslust" am Samstag zu hören. Unglaubliches hätten die Einsatzkräfte geleistet, sagt beispielsweise eine der Hauptinitiatoren des Festes, Jutta Göbber. "Eine Gratwanderung" nennt sie, sichtlich bewegt, die Entscheidung, die Veranstaltung abzuhalten. In den frühen Morgenstunden hätten sich die Veranstalter mit Bürgermeister Walter Bleimaier dazu durchgerungen: "Da war auf der einen Seite das Mitgefühl für die Opfer und ihre Familien, auf der anderen Seite die Frage, ob wir uns von einem Täter wie diesem so unter Druck setzen lassen, ihm diese Selbstbestätigung posthum zukommen lassen wollen. Das zu beantworten war so schwer", sagt sie mit Tränen in den Augen.

Auch in Starnberg wurde über die Frage diskutiert, ob die "lange Tafel" unter diesen Umständen nicht abgesagt werden müsse. Dort entschied sich die Stadtverwaltung schließlich für die Veranstaltung, aber auch dafür, aus "Solidarität und Respekt gegenüber den Opfern und deren Angehörigen" auf laute Musik an diesem Abend zu verzichten. Die Stadtkapelle Starnberg hatte nach Angaben des Vorsitzenden Martin Rüeck das Programm umgestellt und spielte keine Wiesn-Hits, sondern nur gediegene Blasmusik. Die Festbesucher reagierten darauf ruhig und gelassen. "So etwas wie in München kann ja überall passieren", sagte beispielsweise Thomas Beigel. Es sei aber beruhigend, dass die Polizei alles im Griff habe. Auf verstärkte Sicherheitsvorkehrungen, etwa aus Angst vor Nachahmungstätern, wurde ebenfalls verzichtet. So hatte man die Zahl der Security-Kräfte nicht aufgestockt.

Laut Adi Gabor von der Firma Mozart wären Mitarbeiter aber freigestellt worden, falls sie Bedenken gehabt hätten unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Wolfgang Böhm aus Hanfeld hatte sich am Freitagabend am Stachus aufgehalten, als sich die Polizisten vom Sondereinsatzkommando gerade verteilten. "Die Polizisten reagierten schnell, freundlich und ruhig. Die Leute sind wirklich gut ausgebildet", lobte er. Viola Bittelmeyer fuhr gerade mit der Bahn von Starnberg nach Hause und musste am Hauptbahnhof umsteigen. "Da war die Polizei schon da." Als der Zugverkehr eingestellt wurde, rief sie ihren Mann an. Der riet ihr, einfach die nächste S-Bahn zu nehmen. Er habe sie dann von einer Station außerhalb Münchens mit dem Auto abgeholt. Die Starnberger Restaurant-Chefin Petra Agostinaccho wurde "die halbe Nacht" von besorgten Freunden und Verwandten aus Italien angerufen. "Alle waren erleichtert", als sie hörten, dass es ihr und den Kindern gut gehe, erzählt sie.

In vielen Gemeinden wurde zudem bereits der Opfer gedacht. Beim Kulturspektakel in Gauting wurden Gedenkminuten eingelegt. In Tutzing zündete Pfarrer Peter Brummer bei einem Konzert im Brunnenhof eine Kerze an.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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