Starnberg:Der Preis der Freiheit

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Franziska Sperr porträtiert die wilde Gräfin Reventlow

Von Patrizia Steipe

Kempfenhausen - Einen neuen Kulturraum hat Elisabeth Carr zum Auftakt des zehnjährigen Jubiläums ihrer "Kunsträume am See" einweihen können: Die Ratstrinkstube auf Schloss Kempfenhausen wurde nach der Renovierung erstmals bespielt. Der alte Steinboden, der aus den Anfängen des Baus im Jahr 1520 stammen könnte - so vermutet jedenfalls Schlossverwalter Oliver Materna -, die reich verzierte schwarze Holzvertäfelung und die an alte Rittergemächer erinnernde Kaminnische ließen bei Kulturmanagerin Carr die Idee entstehen, in diesem Raum einen "Club der Dichter, Denker und Träumer" zu installieren.

Zur Premiere hatte sie die Schriftstellerin Franziska Sperr eingeladen. Für die Stellvertretende Vorsitzendes des Deutschen PEN-Zentrums war es ein Heimspiel, sie wohnt in der Gemeinde Berg. An diesem Abend las sie aus ihren beiden Werken vor, die sie über Franziska zu Reventlow (1871 bis 1918) geschrieben hatte und gab dabei einen Einblick in die Entstehungsgeschichte ihrer Bücher. Sperr hatte dabei zwei Genres bedient. Im Roman "Die kleinste Fessel drückt mich unerträglich. Das Leben der Franziska zu Reventlow" von 1995 spielte Sperr mit dem biografischen Material, das sie ein Jahr lang über die Reventlow zusammengesucht hatte. Sie erfand Begegnungen, beschrieb Menschen, Gefühlsregungen und Dialoge: "Ich glaube, so hätte es sein können", konstatierte Sperr bei der Lesung und nickte zufrieden.

Im 2012 erschienen Merian-Stadtführer "München. Eine Stadt in Biographien" musste sich Sperr an Fakten halten und auch Sehenswürdigkeiten für die Spurensuche der Leser einflechten. Die Fakten reihte sie nicht nüchtern aneinander, sondern entwarf mit viel Empathie und Blick für Details ein Sittengemälde der wilhelminischen Zeit. Sperr skizzierte das Leben der unangepassten Rebellin, die sich über die feine Gesellschaft lustig machte. "Bloß keine Mittelmäßigkeit" lautete Reventlows Credo: Malschule, Feste, Affären, sogar ein Job im Bordell wegen Geldsorgen hätten das "extrem anstrengende" Leben ausgemacht.

Warum gerade die Reventlow? Die Frage werde ihr bei Lesungen häufig gestellt, sagte Franziska Sperr. Die Widersprüchlichkeit und die Überforderung ihrer Romanfigur sei auch ein modernes Thema. Frauen, die aus sozialen Normen ausbrechen, die ein unsicheres, wildes und aufregendes Leben einer lähmenden häuslichen Sicherheit vorziehen, sind in der Literatur ein Klassiker, enden aber meist tragisch. Man denke bloß an Anna Karenina oder Effie Briest. Auch die Reventlow war ein Freigeist: In einem von vielen Regeln dominierten adeligen Elternhaus aufgewachsen, wollte sie ihre Utopie völliger Freiheit verwirklichen und führte in München ein zügelloses Leben, fern aller Konventionen. Doch die Freiheit hatte Grenzen. Sperrs These lautet, dass die Reventlow wegen ihres extremen Freiheitswahns ihr Leben lang überfordert gewesen war. "In meinem Roman habe ich versucht diese These zu beweisen". Die Geldnot, das ledige Kind, das versorgt werden musste und Krankheiten seien der Preis der angeblichen Freiheit gewesen. Letztlich habe die Reventlow Kompromisse eingehen müssen: Was ihre Bedeutung als Künstlerin betrifft, so sei sie nicht über das Mittelmaß hinausgekommen, meinte Sperr: "Ihr Leben war das Kunstwerk."

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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