Starnberg:Das Unbehagen an der Aufklärung

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Über die deutsche Schuld diskutieren Johano Strasser und Gert Heidenreich mit Lukas Hammerstein

Von Ute Pröttel, Starnberg

"Ich lade mir die deutsche Schuld nicht auf meine Schultern." Johano Strasser bezieht klar Position. Schuldübernahme nein, Verantwortung ja. Zusammen mit Gert Heidenreich und Lukas Hammerstein diskutiert der ehemalige PEN-Präsident, wie viel Schuld die Deutschen auch 70 Jahre nach dem Untergang des Naziregimes tragen? Oder sind sie im Schatten der Schuld plötzlich gut geworden? Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion, die im Gemeindesaal der evangelischen Kirche stattfand, ist der Essay von Lukas Hammerstein "Die Guten und das Böse".

Hammerstein setzt sich darin mit dem heutigen Umgang der Deutschen mit ihrer Nazi-Vergangenheit auseinander. Bewusst geht er von eigenen Erfahrungen und Beobachtungen aus: Die Trauerfeier um die Opfer der NSU-Morde, bei der Angela Merkel die Angehörigen der Opfer um Vergebung bittet, der Prozess gegen den Wachmann im Vernichtungslager Sobibor John Demjanjuk.

Hammerstein, Jahrgang 1958, ist der Jüngste der drei Podiumsteilnehmer. Als studierten Jurist begeistert ihn am Prozess gegen John Demjanjuk die Bereitwilligkeit der Justiz, sich endlich mit der Kollektivschuld auseinanderzusetzen. Was ihn bewogen hat, seinen Essay zu Papier zu bringen, ist jedoch die Haltung der beteiligten Juristen: Kompetent verhandeln sie den Prozess, arbeiten den Sachverhalt aber ab, als würde es nicht um ihre eigene Geschichte gehen. An der Stelle beginnt Hammerstein zu hinterfragen. Und begibt sich, wie Strasser formuliert "in eine Spiral, die keinen Ausweg hat". Auch Schriftsteller Gert Heidenreich attestiert den Deutschen ein "Unbehagen an der Wahrheit", was eine unterschwellig reaktive Haltung gegen zu viel Aufklärung mit sich bringe. Lukas Hammerstein kommt schließlich zu dem Schluss: "Lang genug waren wir entweder fürchterlich böse oder fürchterlich gut, immer das eine oder das andere. Die Zeit hat diese Spannung aufgelöst."

Allen drei Intellektuellen bereitet der zu beobachtende Zulauf der rechtspopulistischen Parteien in gesamt Europa Sorge. Heidenreich spricht vom Zeitalter der Gegenaufklärung, Strasser vom Versagen der Politik, die es nicht schaffe, die Probleme und Ängste der einfachen Menschen ernst zu nehmen. Er mahnt, wenn man das Schlimmste verhindern wolle, so werde man viele Menschen dazu brauchen. Zur Diskussion eingeladen hatte das Kulturforum der Sozialdemokratie im Rahmen der Veranstaltungsreihe "70 Jahre Frieden". Am Sonntag, 13. Dezember, findet die Reihe ihren Abschluss: Im Starnberger Kino Breitwand wird das letzte von insgesamt sieben Filmprogrammen laufen. Gezeigt werden die beiden Filme "Tangerines - Mandarinen" (OmU, 11 Uhr) und "Citizen four" (14.45 Uhr) mit einer kurzen Einführung zu Filmbeginn.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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