Starnberg:Aus der Vogelperspektive

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Einzigartige Luftaufnahmen hat der Starnberger Historiker Benno C. Gantner im Kriegsmuseum München vom Landkreis Starnberg entdeckt. Die Aufnahmen entstanden vor 100 Jahren und zeigen ein wenig besiedeltes Land

Von Sabine Bader, Starnberg

Wir schreiben das Jahr 1913 oder war es 1914? Egal, mehr als 100 Jahre sind es allemal. Da schwirrt ein Flugzeug über dem Landkreis Starnberg. Es ist kalt. Halb auf dem Tragwerk liegt ein Mann. Mit Knien und Füßen klammert er sich an seinem Beobachtungssitz im Flieger fest. Die Arme schlingt er um die Spanndrähte und mit beiden Händen umklammert er eine Kamera. Dann erst stellt der Pilot den Motor ab. Jetzt gleitet der Flieger geräuschlos dahin. Zeit, um auf den Auslöser zu drücken. Und bloß nicht zittern. Bitte jetzt nicht wackeln. So beschreibt es der bayerische Fliegerbeobachter Arthur Pfleger und so sind mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch viele der Fotos entstanden, die der Historiker Benno C. Gantner in seinem neuen Buch präsentiert. Am Dienstag wurde es in der Starnberger Buchhandlung Greiner vorgestellt.

Dass sich Landrat Karl Roth unter den Gästen befindet, ist beileibe kein Zufall. Gantner hatte Roth einmal von seiner Entdeckung im Kriegsarchiv München erzählt und in ihm sofort einen interessierten Verbündeten gefunden. Und so entstand in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Starnberg das Buch "Luftbildpioniere von 100 Jahren".

Und wie sah der Landkreis damals aus? Das Kloster Andechs stand völlig alleine auf seinem Hügel. Die Bahnlinie war schon da und führte deutlich sichtbar am Seeufer entlang. Ein schöner Bau war das Hotel Bayerischer Hof. In der Herrschinger Bucht standen die ersten Villen, das Pilsenseeufer war nur von einer Handvoll Häuser gesäumt. Eine Entdeckungsreise. Dabei wurden Fotos eigentlich zu militärischen Zwecken gemacht. Sie waren Teil der Ausbildung junger Piloten. Diese sollten später im Feindesland zu Erkundungszwecken Aufnahmen machen. Eine lebensgefährliche Aufgabe hinter feindlichen Linien. Viele Piloten kamen zu Tode.

Der Erste Weltkrieg war weit weg und wurde im Landkreis nur wahrgenommen, weil auch hiesige Soldaten an die Front mussten - und dort in den Schützengräben starben. Schlimm genug. Zerstörungen jedoch gab es im Fünfseenland keine. Und so eröffnen die Bilder uns heute vielmehr einen Einblick in die Siedlungsgeschichte des Fünfseenlands. Sie zeigen, wie rasant sich die Optik der Ortschaften verändert hat. "Traumhaft schön" und vor allem spannend sind für Gantner die alten Siedlungsstrukturen und die Geschichte, die die Bilder zu erzählen haben. "Da gab es noch viel freien Raum - was wir uns heute oft wünschen", sagte Gantner bei der Buchvorstellung. "Wir erfahren so mehr darüber, wie unsere Vorfahren damals gelebt haben." Die Schwarzweißfotos sind zum überwiegenden Teil noch auf Glasplatten fotografiert. Etliche der Bilder sind im Winter entstanden. "Man kann sich vorstellen, da war es für die Fotografen ziemlich frisch", sagt Gantner. Sein Buch sei schlicht ein Dokumentationswerk für die Region. Das findet auch Landrat Karl Roth. "Ich war schon von den ersten Bildern begeistert", gesteht er ein. Der Landkreis hat darum etliche der Bücher aufgekauft - "Ich brauche immer etwas Gutes zum Verschenken" - und beteiligt sich so an den Kosten für Gantner, der das Buch im von ihm gegründeten Apelles-Verlag Starnberg herausbringt. Und noch ein weiteres wichtiges Werk für die Stadt hat Gantner vor kurzem als Neuauflage herausgegeben - damals noch im Selbstverlag: die grotesken Erinnerungen von Otto Michael Knab "Kleinstadt unterm Hakenkreuz". Ein schonungsloses Zeugnis Starnberger NS-Geschichte, das über viele Jahrzehnte vergriffen war und das jetzt in keinem Bücherschrank fehlen darf.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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