Starnberg:Astronaut und Nonnenchor

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Der Film zu Mathis Nitschkes Oper "Jetzt" im Kino Starnberg

Von Gerhard Summer, Starnberg

Diese Bilder sind einfach wunderbar. Das zankende, vom Autofahren und Einparken singende Ehepaar mit Sektgläsern vor einem in Reih und Glied aufmarschierten Nonnenchor. Die Frau, die in Anspielung auf Leonardo da Vincis gezeichneten vitruvianischen Menschen in einem großen Reifengestell hängt. Kartonlandschaften, aufgeschichtet von Sängern, die Fritz Langs "Metropolis" entsprungen sein könnten. Der mit dem Rücken zum Publikum stehende Mann mit Spazierstock im Nebel. Ein nach oben ins All entschwebender Astronaut im weißen Astronautenanzug, der seine letzten Töne noch durchs geschlossene Helmvisier haucht, während neben ihm eine Wolke pulst, als wär's seine entschwindende Seele. Und selbstredend die absurde Modenschau à la Fellini mit Harlekin, einem ganz in weiß gehüllten Mann mit Gesichtsmaske, Bommeln und Fühlern, einer Schönen, die einen geflochtenem Hut trägt, und Frauen in Pelzen.

Natürlich besteht die zeitgenössische Oper "Jetzt", die Ende November 2012 in Montpellier uraufgeführt worden ist, nicht allein aus Bildern. Sie entwickelt ihren Witz, ihre Ironie, ihre Kraft und Absurdität erst im Zusammenspiel mit dem feinen Text und der nie schrillen, harmonisch traditionellen Musik. Der Komponist, der Münchner Soundtüftler Mathis Nitschke, weist dem Chor wuchtige Passagen zu, gibt den Sängern Mikros und Flüstertüten und bewegt sich zwischen Barock, argentinischem Tango Nuevo und modernem Jazz. Und er legte Wert auf einen "monotonen Beat", der gleichsam auf der Stelle tritt", wie er bei der Vorstellung des Opernfilms "Jetzt" im Starnberger Kino sagte. Nitschke wollte nämlich ein Lebensgefühl abbilden, das viele kennen dürften: dass sie scheinbar nicht vorwärts kommen, so sehr sie sich auch abrackern.

Bei den Besuchern der Vorstellung löste "Jetzt" die unterschiedlichsten Assoziationen aus. Ein Zuschauer fühlte sich an Minimalismus, Philipp Glass und Carl Orff erinnert, ein anderer an Bilder aus Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut", ein dritter an den Science-Fiction "Twelfe Monkeys". Die Botschaft der Oper, die schlaglichtartig Szenen aneinanderreiht, ohne den erzählerischen Bogen zu suchen, empfanden zwei Besucher als "sehr pessimistisch". Dabei ist "Jetzt" teilweise zum Schreien komisch. Eine simultan ablaufende Szene beispielsweise hat es in sich: Ein eitler Kerl schwadroniert noch auf dem Sterbebett ("mein Leben war so bedeutend, wie mein Sterben sein wird"), während neben ihm eine Frau eine Art Glücks-Umfrage präsentiert.

Möglich gemacht hatte den ungewöhnlichen Filmabend der Kunst- und Museumsverein Starberg, der den jungen Komponisten schon seit Jahrzehnten begleitet. Nitschke selbst stellte das mit seinem Freund Urs Schönebaum (Regie, Bühne, Licht) und dem Librettisten Jonas Lüscher realisierte Projekt ausführlich vor. Er ging kurz auf seine Jugendzeit in Feldafing ein, mit der er immer noch hadere, erzählte davon, dass der inzwischen berühmte Schweizer Schriftsteller Lüscher mit seinem Text auf den "Sprachgebrauch in sieben Epochen" abzielte, und berichtete von der langen Entstehungsgeschichte. Er habe sich beispielsweise gefragt, für wen er die Oper überhaupt komponiere, bis er nach einer zweistündigen Fahrt von Marseille aus abends in Montpellier ankam und auf eine Stadt voller Studenten traf, auf ein "entspanntes und warmherziges Treiben". Da sei ihm klar geworden: "Hey, das ist mein Publikum, und das Schöne war, dass die dann tatsächlich kamen." Weniger erfreulich: Werke wie diese zeitgenössische Oper sind nach zwei Aufführungen so gut wie vergessen. "Jetzt" ist tatsächlich fürs Jetzt geschrieben.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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