Starnberg:4900 Euro für eine Schachtel Zigaretten

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45-Jähriger ist 34-mal vorbestraft und kommt gerade noch am Gefängnis vorbei

Von Armin Greune, Starnberg

Wer wegen des Diebstahls einer Packung Zigaretten im Wert von 5,60 Euro zu einer fast 1000 mal so hohen Geldstrafe verurteilt wird, hat normalerweise keinen Grund, dem Gericht für das milde Urteil zu danken. Im Fall eines 45-jährigen Münchners war das freilich ganz anders: Angesichts seiner Vorstrafen musste er eigentlich mit einer längeren Zeit hinter Gittern und dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen: Mit dem Widerruf zweier noch offener Bewährungsstrafen hätte sich der Gefängnisaufenthalt wohl auf fast zwei Jahre summiert. Doch die Starnberger Amtsrichterin Brigitte Conrad hielt es für angemessen, auf den Diebstahl "mit einer hohen Geldstrafe zu reagieren". Sie verhängte 140 Tagessätze à 35 Euro. Der Angeklagte nahm das Urteil ohne zu zögern an.

Sage und schreibe 34 Vorverurteilungen hatte der 45-jährige auf dem Kerbholz. Wegen Drogenhandels wurde er 1998 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, doch auch einige andere Strafen musste er - mehrmals auch nach Bewährungswiderruf - absitzen. Meist wurde der Münchner mit Trunkenheits-, Drogen- und Führerscheinvergehen auffällig, aber auch zehn Vermögensdelikte fanden sich im Register. Aus den Jahren 2010 und 2013 standen noch zwei Bewährungsstrafen wegen Betrugs, Beleidigung und Körperverletzung offen, die Straftaten standen meist mit seiner langjährigen Alkohol- und Drogenabhängigkeit in Verbindung. Sucht, in diesem Fall nach Nikotin, war auch der Auslöser, als er im August 2015 in einem Starnberger Supermarkt die Zigaretten klaute.

Der Angeklagte erklärte zur Tat, dass er an jenem heißen Sommertag mit dem Rad nach Starnberg gekommen war und möglichst schnell zum See wollte. Er habe ohne Vorsatz gehandelt und die Schachtel spontan eingesteckt, als er die Kasse wechselte. Dann habe er Waren im Wert von 25 Euro bezahlt - die Zigaretten allerdings nicht, obwohl sein Geld auch dazu gereicht hätte.

"Allzu lange haben Sie sich nicht straffrei halten können", meinte die Richterin. Nicht nur sie fand es schwer zu verstehen, dass jemand für eine Schachtel Kippen seine ganze Zukunft aufs Spiel setzt. Deshalb hatte Conrad auch den Bewährungshelfer geladen, der den Angeklagten seit Mitte 2014 betreut. Der 61-Jährige machte sich für seinen Mandanten stark: Der habe 2013 den Alkoholentzug in stationärer Therapie erfolgreich geschafft und - bis auf den "Aussetzer" im Supermarkt - seitdem keinen Grund zur Beanstandung mehr geliefert. Der 45-Jährige nehme weiter an Gruppensitzungen der Anonymen Alkoholiker teil, regelmäßige Drogenscreenings auf Cannabis seien unauffällig geblieben. Der Angeklagte ergänzte, dass er mit Haschisch oder Marihuana ohnehin wenig zu tun gehabt hätte: Bis 1998 habe er vor allem harte Drogen konsumiert, danach sei er schwerer Alkoholiker gewesen. Der Bewährungshelfer bescheinigte ihm, er habe "in den vergangenen zwei Jahren eine beieindruckende Entwicklung zurückgelegt".

Unter diesen Voraussetzungen war auch die Staatsanwältin bereit, "mit 27 zugedrückten Augen" auf eine - wenngleich in Relation zum "ziemlich nichtigen Anlass" turmhohe - Geldstrafe zu plädieren. Eine Bewährungsstrafe aber wäre bei dem Vorstrafenregister nicht mehr in Frage gekommen.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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