Debatte:Mehr Mitbestimmung, bitte!

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Diskutierten über Bürgerbeteiligung (v.li.): Franziska Heinisch, Moderatorin Stephanie Heinzeller, Ursula Münch, und Simon Strohmenger. (Foto: Nila Thiel)

Bei einer Diskussion in der Politischen Akademie Tutzing über Bürgerbeteiligung und den Zustand der Demokratie wird klar: Die Kluft zwischen Politikern und Volk lässt sich nur überwinden, wenn die Wähler mitentscheiden können.

Von Clara Donauer, Tutzing

Es ist leicht, unzufrieden zu sein mit dem, was Politiker gerade so machen oder eben auch versäumen zu tun. Und es ist leicht, sich nicht politisch zu engagieren. Zusehends schwindet das Einverständnis mit Entscheidungen aus dem Bundestag oder dem Landtag. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich nicht gehört. Mehr Mitbestimmung kann aber durch Bürgerbeteiligung möglich werden. Das ist das Resümee einer Diskussion in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Mit der Frage "Wer wenn nicht wir!?", beschäftigten sich die Teilnehmer im Rahmen des "Werkraum Demokratie: Politik und Gesellschaft neu denken". Das Programm entwickelten Bayern 2, die Nemetschek-Stiftung und die Tutzinger Akademie für Politische Bildung. Hörerinnen und Hörer des Radiosenders konnten sich im Voraus für die Tagung anmelden, 48 wurden als Teilnehmer ausgewählt. In den drei Tagen lernten sie Strategien der Bürgerbeteiligung kennen und arbeiteten konkrete Vorschläge zur aktuellen Politik in Kleingruppen heraus. Im Dialog mit der Bundestagsabgeordneten Jamila Schäfer (Grüne), dem Landtagsabgeordneten Arif Tasdelen (SPD) sowie Wolfgang Heubisch (FDP), dem Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags, wurden diese Ideen im Anschluss besprochen. Zu Beginn der Tagung debattierten Akademiedirektorin Ursula Münch, die Aktivistin und Autorin Franziska Heinisch sowie Simon Strohmenger vom Verein "Mehr Demokratie" in der Akademie in Tutzing.

Professor Ursula Münch

Bürger enger mit einzubeziehen, damit jede Stimme gehört wird und die Bevölkerung sich von den Abgeordneten repräsentiert fühlt: Dafür sollte es eine intensivere Bürgerbeteiligung geben, findet Münch. Das Denkschema "Die da oben und "Wir hier unten" dürfe sich nicht noch weiter verfestigen. Zudem habe sich die Bedeutung von politischen Institutionen verändert. Die Wähler binden sich laut Münch nicht mehr so lange an Parteien, das belaste auch die Beziehung zwischen Repräsentanten und Bevölkerung und begünstige Misstrauen gegenüber Politikern. Den Bürgern fehle auch oft die Empathie für die in die Parlamente gewählten Vertreter. Dies ändere sich vielleicht, wenn sie aktiver am demokratischen Prozess beteiligt wären. Junge und Alte, Menschen mit Migrationshintergrund oder geringen finanziellen Mitteln und weitere marginalisierte Gruppen würden momentan so gut wie nicht berücksichtigt. Gerade sie könnten von mehr Bürgerbeteiligung profitieren, so Münch. An den Methoden und Strukturen, wie sich die Bevölkerung einbringen kann, will die Politikwissenschaftlerin festhalten. Es seien nur kleinere Veränderungen nötig.

Simon Strohmenger

Trotz der vielen Kritik an der aktuellen Politik spürt Strohmenger nach eigenen Worten den Willen der Bevölkerung mitzugestalten. Um die Menschen enger einzubeziehen, brauche es gute Beteiligungsverfahren, und da tue sich auf kommunaler Ebene schon sehr viel, so seine Beobachtung. Man müsse die niederschwellige Mitbestimmung allerdings auch auf Landes- und Bundesebene etablieren. Der Politikwissenschaftler möchte mehr Bürgerräte einsetzen, die aus gelosten Mitgliedern bestehen und über Themen beraten und abstimmen dürften. Beschlüsse könnten dann an Politiker weitergegeben oder endgültig per Volksabstimmung entschieden werden. Durch das Losverfahren käme es zu einem Austausch zwischen Menschen mit verschiedener Herkunft, unterschiedlichem Bildungshintergrund sowie Einkommen. Für Volksabstimmungen eigneten sich digitale Tools, ist Strohmenger überzeugt. Denn bei geringerem Zeitaufwand und niedrigerer Hemmschwelle beteiligen sich mehr Leute. Und das sei das Ziel: möglichst viele zu erreichen.

Franziska Heinisch

Die Machtverhältnisse, die sich zugunsten wirtschaftlicher Interessen verschoben hätten, müssten wieder in Richtung der Bevölkerung angepasst werden. Dazu brauche es eine andere, partizipativere Repräsentation der Menschen in unserem Land, meint Heinisch. Deshalb seien tief greifende Veränderungen nötig. Die Autorin warnt davor, Bürgerbeteiligung als Imagepolitur zu verwenden, sie dürfe nicht nur mehr Schein-Mitbestimmung sein. Dazu müssten Beschlüsse konkret etwas am Leben der Menschen verbessern. Klar ist für die Aktivistin, dass Demonstrationen und soziale Bewegungen eine wichtige Rolle im politischen Diskurs spielen. Durch Protestbewegungen würden sehr viele junge Menschen politisiert. Deshalb plädiert sie für die Herabsenkung des Wahlalters, die Meinung der Jüngeren würde so eine größere Bedeutung zukommen. Jedoch sei Politik immer ein Ringen von verschiedenen Interessen, durch mehr Mitbestimmung könnten zumindest die Gewichtsklassen einander angeglichen werden.

© SZ vom 02.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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