Pöcking:Beliebter Kriegsverbrecher

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Die Gemeinde Pöcking arbeitet die Gräueltaten von Matthias Defregger auf: Ein nach dem Kleriker benannter Weg bekommt daher einen neuen Namen. (Foto: Arlet Ulfers)

Weil er an einem Massaker an italienischen Dorfbewohnern beteiligt war, benennt die Gemeinde den nach Weihbischof Matthias Defregger benannten Weg um. Trotzdem betont man auch noch die positiven Seiten des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Pöcking

Auf der einen Seite war Weihbischof Matthias Defregger in Pöcking ein geachteter Mann. Er hat von 1969 bis zu seinem Tod 1995 im Dorf gewohnt und dort regelmäßig Messen zelebriert. Aber: Der Weihbischof war eben auch Offizier im Zweiten Weltkrieg - und dabei für die Erschießung von Zivilisten im italienischen Dorf Filetto verantwortlich. Nach einem Partisanenüberfall, bei dem zwei deutsche Soldaten ums Leben gekommen waren, erschoss die Wehrmacht alle männlichen Bewohner Filettos. Anschließend verbrannten die Deutschen die Leichen ihrer Opfer und zerstörten das Dorf.

Matthias Defregger, von 1968 an Weihbischof in München, war in Pöcking ein geachteter Mann - trotz seiner Kriegsverbrechen. (Foto: Karlheinz Egginger)

Zwar wurden die Gerichtsverfahren gegen Defregger sowohl in Deutschland als auch in Italien wegen Verjährung eingestellt. Die Begründung: Bei den Taten habe es sich nicht um Mord, sondern um Totschlag gehandelt. Doch der Weihbischof selbst hatte sich nie zu dem Kriegsverbrechen geäußert. Er hatte den fatalen Befehl nie in Frage gestellt und sich ohne persönliche Schuld gesehen. Zu diesem Ergebnis kommt die Historikerin Marita Krauss, die von der Gemeinde 25 Jahre nach Defreggers Tod mit der Untersuchung der Geschehnisse von damals beauftragt worden war. Über ihre Erkenntnisse berichtete sie auf einer Bürgerversammlung im Juni vergangenen Jahres.

Seither wird in Pöcking über Defreggers Verantwortung für die Vergeltungsmaßnahme in Filetto neu diskutiert. Nun hat sich auch der Gemeinderat mit der Frage befasst, ob der nach Defregger benannte Weg zum Friedhof einen anderen Namen bekommen soll. Das Gremium hat am Ende eine salomonische Entscheidung gefällt. Der Weg wird "zur Erinnerung an den Schrecken des Krieges, die Verantwortung des Einzelnen und das Leid der Opfer" in Filetto-Weg umbenannt, wie es in dem Beschluss heißt.

Der Filetto-Weg soll die Pöckinger zum Nachdenken über diese Geschichte anregen. Gleichzeitig soll auf einer Erinnerungstafel auch auf die zwiespältigen Seiten von Weihbischof Defregger hingewiesen werden. Eine Tafel soll angebracht werden, um an das Kriegsverbrechen vom 7. Juni 1944 zu erinnern.

Die Historikerin Marita Krauss war von Pöcking beauftragt worden, Defreggers Vergangenheit aufzuarbeiten. (Foto: Arlet Ulfers)

Nach dem Vorschlag der Grünen sollen alle 17 damals getöteten Männer zwischen 17 und 65 Jahren namentlich genannt werden. Gleichzeitig will die Gemeinde im Text auch auf die beiden Seiten des Weihbischofs hinweisen. Darin wird Defregger nicht nur als an deutschen Kriegsverbrechen beteiligter Offizier, sondern auch als christlicher und zugewandter Mensch beschrieben.

Defregger bat nie bei den Angehörigen seiner Opfer um Verzeihung

"Die Geschichte wird zwar erklärt. Aber wir wollen nicht den Stab über ihm brechen", betonte Bürgermeister Rainer Schnitzler, der als Kind bei dem Weihbischof ministriert und ihn als sehr sympathischen und charismatischen Mann erlebt hat. "Jeder Mensch hat zwei Seiten." Und niemand könne beurteilen, wie man selbst in der Kriegssituation gehandelt hätte.

Seiner Meinung nach hätte der Weihbischof allerdings viele Jahre Zeit gehabt, selbst in das Abruzzen-Dorf zu fahren, mit der Bevölkerung zu reden und ein Zeichen zu setzen. Eine Meinung, die sich auch in der Erklärung der Gemeinde widerspiegelt. Darin heißt es: "Hier lag Defreggers eigentliches moralisches Versagen: Er bat nie in Filetto um Verzeihung, er tat nichts für die Angehörigen der Erschossenen und Bewohner des zerstörten Dorfes".

In dieser Pöckinger Villa hat sich Weihbischof Defregger immer wieder aufgehalten. (Foto: Arlet Ulfers)

Im Dorf war die Vergangenheit Defreggers, der 1968 von Kardinal Julius Döpfner zum Weihbischof von München-Freising ernannt worden war, bekannt. Denn 1969 hatte das Magazin Der Spiegel über seine Beteiligung an den Kriegsverbrechen in Italien berichtet. Dies hatte schon damals national und international zu heftigen Diskussionen über die Schuldfrage geführt.

Zum Jahrestag der Vergeltungskation am 7. Juni ist im vergangenen Jahr eine Delegation aus Pöcking in das 1000 Kilometer entfernte Filetto gefahren. Es sollte eine Geste der Versöhnung sein, die der Weihbischof selbst nie gemacht hat. Vor dem Hintergrund, dass die Pöckinger Delegation "unheimlich freundlich" aufgenommen wurde, ist Schnitzler überzeugt, die Bewohner Filettos hätten auch Defregger "mit offenen Armen empfangen", falls er hingefahren wäre.

Der Bürgermeister hält den neuen Straßennamen für "angemessen"

Schnitzler ist heute noch von dem Gedenkgottesdienst in Filetto und der Predigt des Pfarrers beeindruckt, der selbst Angehörige bei der Vergeltungsaktion verloren hatte. Er habe selten so eine versöhnliche Predigt gehört. Der Pfarrer habe auch Verständnis für die gefallenen deutschen Soldaten gezeigt, so der Rathauschef.

Der Straßenname ist laut Schnitzler angemessen. Denn der Weg führt zum Friedhof. "Ein Friedhof ist ein würdiger Ort", sagte der Rathauschef. Es werde dort der Opfer vom 7. Juni 1944 erinnert.

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