Serie Dorf-Dynastien:Hufeisen für Kaiserin Sisi

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In der Engesser-Schmiede in Pöcking wurden früher auch Pferde und Zugochsen beschlagen, wovon etliche Hufeisen an den Wänden zeugen. Georg Engesser (links) und Franz Schmid erzählen die Geschichte des Betriebs. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

In der Engesser-Dorfschmiede in Pöcking wird seit mehr als 500 Jahren gearbeitet. Wo einst Pferde und Ochsen beschlagen wurden, führt Franz Schmid heute einen modernen Metallbaubetrieb.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Pöcking

Die Pöckinger Dorfschmiede wirkt wie ein Heimatmuseum. Der erste Blick geht zu dem riesigen Kamin, in dem das Schmiedefeuer brennt. Über dem Sims hängen Zangen in allen Formen und Größen, dazwischen ein paar Hufeisen. Die Werkzeuge, die damals für die Wagnerei benötigt wurden, sind vor mehr als 100 Jahren von Georg Engessers Vorfahren angefertigt worden. Heute erfüllen sie nur noch dekorative Zwecke. "Ich stand schon mit zehn Jahren am Feuer", erinnert sich Engesser. Er hat den Betrieb seiner Ahnen jahrzehntelang geführt, obwohl er seit seinem 16. Lebensjahr eine Behinderung hat. Seit einer verpfuschten Hüftoperation ist ein Bein sechs Zentimeter kürzer als das andere.

Für einen Handwerker ist dies eine erhebliche Beeinträchtigung, insbesondere bei der Arbeit am Bau. Denn in dem Handwerksbetrieb wird heutzutage überwiegend Bauschlosserei betrieben. Dennoch sei nie infrage gestellt worden, dass er die Schmiede, die seit knapp 200 Jahren in Familienbesitz ist, weiterführt, erklärt er. Jahrzehntelang hat der Schmiedemeister gearbeitet. Das war möglich, weil sein Großcousin Franz Schmid im Betrieb mitgearbeitet und ihn bei Arbeiten unterstützt hat, bei denen Engesser sich schwertat. Vor 18 Jahren hat sich Engesser aufs Altenteil zurückgezogen und die Dorfschmiede an seinen Großcousin übergeben. Seither macht er noch Abrechnungen und Büroarbeiten.

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In der Werkstatt hat sein Nachfolger Schmid wenig verändert. Nur wenige moderne Maschinen stehen zwischen den historischen Anlagen, die teilweise heute noch genutzt werden, wie etwa die Esse. Auch der 252 Kilogramm schwere Amboss mit seinem ausgehöhlten Eichenstamm in der Mitte ist etwa 100 Jahre alt. Stolz zeigt Engesser auf das jahrhundertealte Eingangstor aus massivem Eichenholz. Es ist auf der Innenseite mit einem massiven, kunstvoll geschmiedeten Geländer versehen, natürlich aus der eigenen Werkstatt. Das sei damals zum Schutz notwendig gewesen, nicht gegen Einbrecher, sondern, damit die Türe nicht kaputtging. Denn wenn die Pferde neue Hufeisen bekamen, konnten sie ausschlagen und die Türe eintreten, erklärt Engesser und zeigt auf die stabilen Eisenringe, die daneben in die Wand eingelassen sind. Dort wurden die Pferde zum Beschlagen angebunden.

Etliche Hufeisen aus früheren Jahren hängen an den Wänden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Die Einbürgerungsurkunde von Kajetan Koch. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Schmiedemeister Ludwig Koch vor der Engesser-Schmiede in Pöcking mit seiner Schwester Wally. (Foto: Franz Xaver Fuchs (Repro))

Eine Rechnung aus dem Jahr 1879 zeigt, dass sogar die Pferde der österreichischen Kaiserin Elisabeth in die Pöckinger Dorfschmiede gebracht wurden, wenn sie mit ihrem riesigen Tross und eigenen Reitpferden im Hotel Strauch im Nachbarort Feldafing abstieg. Engesser hat die Rechnung neben vielen anderen Dokumenten auf dem Dachboden des Bauernhauses gefunden, das zum Anwesen gehörte. Seit Urzeiten gehörte zur Schmiede eine Landwirtschaft. Sie wurde noch von Engessers Vater betrieben. Für ihn als jungen Mann hieß das, dass er an den Wochentagen seiner schweren Arbeit als Schmied nachging und am Wochenende in der Landwirtschaft mithelfen sowie die zehn Kühe versorgen musste. Das Wohnhaus neben der Schmiede mit seinen heute leer stehenden, ehemaligen Stallungen, in dem er aufgewachsen ist, bewohnt Engesser aber noch immer. Die Landwirtschaft indes hat er aufgegeben und Felder nebst Wald verpachtet.

Als Engesser in Rente ging, hat er den Dachboden des um 1870 gebauten Gebäudes entrümpelt. Die Schätze, die er dort fand, nahm er zum Anlass, sich noch intensiver mit der Geschichte des Traditionsbetriebs zu befassen. Wie eine Urkunde beweist, hat sein Vorfahre Kajetan Koch - er ist auch der Ururgroßvater seines Nachfolgers Schmid - das Anwesen 1829 einem Verwandten abgekauft, weil dieser nach Amerika ausgewandert ist.

Die Familie Koch vor der Engesser-Schmiede in Pöcking. (Foto: Franz Xaver Fuchs (Repro))

Genau genommen ist der Handwerksbetrieb aber schon viel älter. Wie der verstorbene Dorfchronist Leonhard Poelt herausgefunden hat, wurde die Schmiede erstmals 1512 erwähnt und ist damit mehr als 500 Jahre alt. Damals wurden vorwiegend Fuhrwerke repariert und Pferde beschlagen. Auch Ochsen, die als Arbeitstiere die Gespanne zogen, bekamen Hufeisen verpasst. Es ist anzunehmen, dass die Ochsen sich diese Prozedur noch weniger gefallen ließen als die Pferde. Dass das Schutzgitter an der Werkstatttüre dennoch jahrhundertelang gehalten hat, spricht von der Qualität der Handwerksarbeit.

Um 1900 hat Engessers und Schmids gemeinsamer Urgroßvater Jakob Koch die Dorfschmiede übernommen. Er hatte einen für die damalige Zeit stattlichen Betrieb mit rund 14 Gesellen. Laut Engesser hatte er sich hauptsächlich auf Blecharbeiten spezialisiert, wie Gartentore und Balkongeländer. Das schmiedeeiserne Kreuz auf dem Grab der Engessers ist unter anderem eine Arbeit aus dem eigenen Betrieb. Das verzierte, etwa 100 Jahre alte Gartentor auf dem Anwesen wurde ebenfalls selbst hergestellt.

Georg Engesser (rechts) und Franz Schmid haben lange zusammengearbeitet. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Jakob Koch hat sich zudem stark für das Dorf engagiert. Von 1878 bis 1906 war er Bürgermeister von Pöcking und laut einer Urkunde ist er 1894 zum Ehrenmitglied der Freiwilligen Feuerwehr ernannt worden. Sein Urenkel Georg Engesser hat nicht nur als Handwerker die Nachfolge angetreten. Ebenso wie sein Ahne ist er seit Jahrzehnten passives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und seit 1974 Kassier der Jagdgenossenschaft. Auch im Bereich Kommunalpolitik kann es Engesser mit seinem Urgroßvater aufnehmen. Insgesamt 45 Jahre war er Mitglied des Gemeinderats. Obwohl Georg Engesser selbst wegen seiner Gehbehinderung nicht aktiv Fußballspielen konnte, stand er 45 Jahre lang der Fußballabteilung des Sportvereins SCPP vor und leitet bis heute den örtlichen Fanclub des FC Bayern München. Als junger Mann ist er zweimal zum Oberburschen gewählt worden. Er hat das Amt erst abgegeben, als er wegen seiner Meisterausbildung keine Zeit mehr hatte.

In den vergangenen Jahren hat sich Engesser nicht nur mit der Vergangenheit des Handwerksbetriebs befasst, sondern auch mit der Geschichte der Familie Engesser. "Wenn man einmal damit angefangen hat, ist das wirklich spannend", sagt er. Vor ein paar Jahren habe es ein großes Familientreffen gegeben mit mehr als 100 Personen, erinnert sich der 73-Jährige. Damals habe er erfahren, dass der erste Engesser im Jahr 1784 aus dem Schwarzwald nach Pöcking gekommen ist.

Über der Esse hängen die selbst angefertigten Zangen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

In der alten Dorfschmiede wurde immer aktiv gearbeitet - mehr als 500 Jahre lang bis heute ohne eine Unterbrechung. Und wenn es nach dem heutigen Inhaber, Metallbaumeister Franz Schmid geht, ist noch lange nicht Schluss. Neben ihm ist noch ein weiterer Meister angestellt sowie drei Gesellen, darunter ein Flüchtling aus Pakistan. Ihm gab Schmid eine Chance, obwohl dieser damals kein Wort Deutsch konnte. Unterdessen habe der Azubi seine Lehre abgeschlossen und werde weiter beschäftigt, so Schmid. Auch seinen Sohn Jonas konnte Schmid für das Metallbauhandwerk begeistern. Jonas ist inzwischen Geselle und wird bald seine Meisterausbildung beginnen. Die Zukunft des jahrhundertealten Handwerksbetriebs ist also gesichert. Und wenn Franz Schmid einmal den Betrieb an seinen Sohn übergeben wird und in den Ruhestand geht, will er dennoch weitermachen - als Kunstschmied. Für diese Arbeit habe er sich schon immer begeistert, sagt er, und zeigt dabei auf einen Kerzenständer, den er selbst geschmiedet hat. Im Alltag habe er aber dafür keine Zeit, zumal diese Arbeit aufwendig und schlecht bezahlt sei. Als Hobby allerdings könne er sich sehr gut vorstellen, sich als Kunstschmied zu betätigen.

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