Gesellschaft im Landkreis Starnberg:Das Doppelleben der Starnberger Seeritter

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Marie von Miller-Moll mit einem Bildnis der Harbni-Ritter. (Foto: Arlet Ulfers)

Sechs Münchner Geschäftsmänner haben sich vor 175 Jahren in einem Orden zusammengeschlossen und ein Grundstück in Pöcking gekauft, um kostümiert feiern zu können. Jetzt haben sich die Nachfahren der "Harbnis" getroffen.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Berg/Pöcking

30 Jahre lang hatte Marie von Miller-Moll in der Villa ihres Urgroßvaters Ferdinand von Miller in Niederpöcking gelebt. In dieser Zeit habe sie sich nie dafür interessiert, dass ihr Urahne ein Harbni-Ritter war. Bei den Harbnis handelte es sich um einen Verein, der vor 175 Jahren von erfolgreichen Münchener Bürgern gegründet wurde, um Spaß zu haben.

Sechs befreundete Harbnis schlossen sich damals zusammen, kauften ein langgezogenes Grundstück am Starnberger See und bauten dort Sommervillen, die bis heute noch weitgehend unverändert sind. Weniger bekannt ist, dass diese reichen Neubürger und Kunstschaffenden aus München regelmäßig in der Villa von Miller zusammenkamen, um dort Ritterfeste zu feiern. Erst als Marie von Miller-Moll das Anwesen im vergangenen Jahr an ihre Neffen übergab und in das benachbarte Kapellenhaus umzog, sei sie "mit diesen komischen Harbnis" konfrontiert worden. Denn im Kapellenhaus habe sie zwei Marmortafeln vorgefunden, die auf diese Geschichte hinweisen.

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Von Miller-Moll forschte nach und fand heraus, dass im 19. Jahrhundert in München unzählige Kunst- Kultur- und Theater- Vereine gegründet worden sind, unter anderem auch der Verein der Harbni-Ritter im Jahr 1850. "Sie wollten nicht kämpfen, sie wollten eigentlich nur Spaß haben", sagte Miller-Moll am Samstag im Rahmen der Ritterrunde, zu der sie die Harbni-Nachkommen eingeladen hatte. Wie sie erklärte, hatten die Harbnis damals im großen Saal der von-Miller-Villa gefeiert. Sie habe sich stets gefragt, warum über der Türe ein Bord befand. Erst später habe sie herausgefunden , dass es eigens angebracht worden war, damit die Ritter dort ihre Humpen abstellen konnten.

Eigentlich wollte Miller-Moll ihre Gäste in die Von-Miller-Villa in Niederpöcking einladen. Da diese aber derzeit saniert wird, war die Veranstaltung kurzerhand in den Rittersaal von Schloss Kempfenhausen verlegt worden. Und weil die Harbnis so viel Spaß am Verkleiden hatten, wurde der Termin auf den Faschingsbeginn gelegt, also dem 11. November um 11.11 Uhr. Die 175. Tafelrunde war ein großer Erfolg. Der mit zahlreichen Bildern von den Harbnis geschmückte Rittersaal war voll. Der Nachkomme des Erbauers von Schloss Kempfenhausen, York Langenstein, empfing die illustre Gesellschaft stilecht im Ritterkostüm und der Historiker Erich Kasberger sowie die Gäste Christoph Hölzl, Klaus Kratsch und Ferdinand Pach ließen die damalige Welt der Harbnis kurzweilig wieder aufleben.

Weil die Von-Miller-Villa in Pöcking saniert wird, traf man sich im Rittersaal von Schloss Kempfenhausen. (Foto: Arlet Ulfers)
Ein altes Bild zeigt die Harbni-Ritter von einst. (Foto: Arlet Ulfers)
Erich Kasberger, Christoph Hölzl, Ferdinand Pach und Klaus Kratsch (von links) ließen die damalige Welt der Harbnis kurzweilig wieder aufleben. (Foto: Arlet Ulfers)

Insgesamt acht Villen sind zwischen 1852 und 1858 auf dem Areal am Seeufer von Niederpöcking von erfolgreichen Bürgern aus Wirtschaft, Kunst und Kultur gebaut worden. Je nachdem, wie viel Geld die Eigentümer investieren wollten oder konnten, wurden sie im bayerischen Voralpenstil errichtet, im neugotischen Stil oder Maximilianstil, der dem königlichen Casino auf der Roseninsel nachempfunden war.

"Es waren alles erfolgreiche Wirtschaftsbürger, die sich den Luxus leisten konnten und sich zur Rittergesellschaft zusammengetan hatten mit dem Ziel, sich zu amüsieren", erklärte Ferdinand Pach. Dem Erzgießer und Erbauer der Bavaria, Ferdinand von Miller, sei damals der Name Ferdinand von der Haid gegeben worden. Kratsch zufolge ging die Idee für die Rittervereinigung aus den "gigantischen Feiern" hervor, die in Ferdinand von Millers Münchener Werkstatt nach einem gelungenen Erz-Guss stattfanden. Später seien auch Damen in die Vereinigung aufgenommen worden. Daher sind die Mitglieder nach seinen Angaben in normaler, also der Zeit entsprechender Kleidung erschienen und die Ritterverkleidung geriet in Vergessenheit.

Im Volksmund hieß die Villen-Siedlung Protzenhausen

Wie Kasberger berichtete, gab es die Begeisterung für das Mittelalter damals europaweit, wie beispielsweise auch die Burgen am Rhein zeigen. Die Villenkolonie hatte nach seinen Angaben durchaus auch eine wirtschaftliche Bedeutung für Pöcking. Schließlich konnten die Bauern als Vorbesitzer der Grundstücke durch den Verkauf einen wirtschaftlichen Nutzen erzielen.

Die Villenbesitzer haben laut Miller-Moll "eine Art Doppelleben" geführt. "Im Winter haben sie in München gearbeitet, im Sommer hatten sie eine fröhliche Zeit am Starnberger See", sagte die Nachfahrin des Erzgießers Ferdinand von Miller und des ältesten seiner zehn Söhne, dem Elektropionier Oskar von Miller. Doch die Villen-Eigentümer feierten nicht nur gerne, sie besuchten auch regelmäßig den Sonntagsgottesdienst in der neugotischen Kapelle auf dem benachbarten Mayerfels-Anwesen. Da die kleine Kapelle nur acht Plätze hatte und die Bewohner nicht im Regen stehen wollten, bauten sie kurzerhand das Kapellenhaus, um von dort aus an der Messe teilnehmen zu können. Und auf den zwei Tafeln in dem Gebäude fand sich der einzige schriftliche Beweis der Harbni-Ritter.

Die Niederpöckinger Villenkolonie wurde übrigens im Volksmund "Protzenhausen" genannt, weil dort nur reiche "Protzen" aus München lebten. Der doppeldeutige Begriff kommt übrigens von Brotz oder Protz, dem bairischen Wort für Kröte. Da sich eine Kröte bei Gefahr aufbläht, um größer zu erscheinen, wird in diesem Dialekt auch ein Angeber oder ein Aufschneider als Protz bezeichnet.

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