Planegg:Blick zurück aus Tahiti

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Elftklässler aus dem Feodor-Lynen-Gymnasium und internationale Gäste beschäftigen sich mit dem Ersten Weltkrieg

Von Annette Jäger, Planegg

Den Ersten Weltkrieg kann man, so furchtbar diese Zeit auch war, mit ein paar Kapiteln in den Geschichtsbüchern abhandeln. Oder man kann sich über Jahre damit beschäftigen und selbst forschen. Schüler der 11. Klasse des Feodor-Lynen-Gymnasiums in Planegg haben sich in einem wissenschaftlichen Seminar für diesen Weg entschieden. Federführend sind sie an einem Erasmus-Projekt beteiligt, das den Ersten Weltkrieg aus regionaler Perspektive beleuchtet - ein völlig neuer Ansatz, wie der Geschichtslehrer Johannes Traut erklärt. Da das Erasmus-Programm der Europäischen Union die Zusammenarbeit von Schülern fördert, hat man Partnerschulen eingeladen, deren Heimatländer einst ebenfalls in den Krieg involviert waren: Aus Lettland, Ungarn, Griechenland, La Réunion, Tahiti und der Türkei kamen Anfang Mai 50 Schüler und Lehrer nach Planegg, um dann gemeinsam historische Pionierarbeit zu leisten.

Im ersten Stock des Planegger Kupferhauses haben die Schüler Quartier bezogen. In kleinen Gruppen sitzen sie vor Laptops, tippen, diskutieren und beraten sich, und das in einem großen Sprachgewirr auf Griechisch, Lettisch, Französisch, Türkisch, Ungarisch. Die Kommunikation untereinander ist schwierig, man weicht ins Englische aus oder versucht es mit Französisch, im Zweifelsfall auch mit Zeichensprache. Alle haben in ihren Heimatländern schon ausgiebige Vorarbeit geleistet und präsentieren nun untereinander ihre Erkenntnisse. Über den Schulhof kommt ein Lehrer aus Tahiti mit einer Gitarre in der Hand. "Jetzt singen sie wieder", beobachtet Lehrer Traut beeindruckt die Motivationspraktiken seiner Kollegen. Die Kulturen und ihre Mentalitäten kennenzulernen, das ist ein Nebeneffekt des wissenschaftlichen Austauschs und eigentlich doch das Wichtigste, findet Johannes Traut.

Die regionale Sicht auf die Ereignisse vor rund 100 Jahren wurde bislang vernachlässigt, sagt ein Lehrer aus Tahiti. Aber sie ist spannend, weil jedes Land eine andere Perspektive auf die Geschehnisse hat und so ein umfassendes Bild entsteht. Für das Projekt wurden Schulen aus Ländern ausgewählt, deren regionale Geschichte wenig Eingang in die Geschichtsbücher fand, wie zum Beispiel der Kampf um die Dardanellen oder der Krieg in der Südsee. So haben sich jetzt die ehemaligen Kriegsfronten in Planegg versammelt, um den Blick des jeweils anderen kennen zu lernen. "Wir wollen zeigen, dass der Krieg vermeidbar gewesen wäre", erklärt Traut.

Die Planegger forschen an der sogenannten "Heimatfront". Die Ausstellung im Planegger Archiv zum Ersten Weltkrieg, die bis Mai zu sehen war, lieferte wichtige Quellen. Hier konnten die Schüler Erinnerungsstücke sichten, die sie in den nächsten Monaten auswerten. Feldpostbriefe sind darunter, auch Fotos. Dabei haben sie interessante Entdeckungen gemacht, etwa, dass sich die Kriegsbegeisterung in Grenzen hielt. Denn der Krieg begann im Sommer 1914 und Bayern war Agrarland; man brauchte die Männer auf dem Feld und nicht im Krieg, erklärt Traut. Erstaunlich war für die Schüler auch, dass nach dem Krieg im Wald bei Planegg Kriegsgefangene einfach erschossen wurden, obwohl mit der Weimarer Republik bereits die Demokratie verankert war. "Aber sie existierte eben nur auf dem Papier", sagt Traut, lokal wurde sie nicht gelebt.

Eines haben die Schüler aus den sechs Ländern schon jetzt erkannt: Es gibt nicht nur eine Wahrheit. Sie werden sich noch des öfteren treffen, um diese Erkenntnis zu vertiefen - und dabei nicht nur historische Bande weiterknüpfen, wie die Lehrer schon beobachtet haben. Das Projekt dauert insgesamt drei Jahre. Im Herbst werden sozusagen die Fronten gewechselt. Dann geht es in die Türkei und im Februar nach Tahiti.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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