Nepomuk:Translokation in Jogginghosen

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Verloren im Nebel: Warum sich immer mehr Frauen und Männer nicht mehr auf den Straßen ihres Heimatlandkreises auskennen

Kolumne von EUER NEPOMUK

Ich sag's ja ungern, ihr Guten, aber gehörte es nicht zu den letzten Privilegien der Männer, mit Saus und Braus die Orientierung zu verlieren? Am Steuer und auch sonst? Was damit zu tun hatte, dass Frauen schon mal nach dem Weg fragen, wenn das Navigationsgerät versagt. Kerle, also richtige Kerle, würden das nie tun. Anhalten? Fremde ansprechen? Freundlich noch dazu? Papperlapapp, was für ein Unfug! Lieber verspeisen Männer ihr vergilbtes ADAC-Straßenkartenset, bevor sie ihre Fahrt unterbrechen.

Gut, es gibt Ausnahmen. Vor ein paar Jahren wollte eine 67-jährige Seniorin aus der belgischen Kleinstadt Erquelinnes nur einen Freund vom Bahnhof in Brüssel abholen. Am Ende tuckerte sie quer durch Belgien, Deutschland und Österreich und landete im 1300 Kilometer entfernten Zagreb. Blöd gelaufen, angeblich war das GPS-Signal schuld. Ich sag' Euch, woran es wirklich lag: Erstens war es Nacht und kein Mensch auf den Straßen, den die Frau hätte fragen könnte. Und zweitens zog Nebel auf. Ja, und das Schlimme ist: Neuerdings bringt der Nebel Männer wie Frauen um den letzten Rest Verstand, den ihnen das monatelange Homeoffice-Dasein gelassen hat. Wie soll sich der Mensch denn noch auskennen in der Welt oder wenigstens im Fünfseenland, wenn er nur noch durch sein Wohnzimmer schlurft, allenfalls vor die Tür tritt, um ein auf dem Fußabstreifer abgelegtes Postpaket zu angeln, und ansonsten bis um zwei Uhr früh in Jogginghosen "Hubert & Staller" oder "Mord mit Aussicht" auf Netflix glotzt?

Mir sind in letzter Zeit jedenfalls erschütternde Berichte zu Ohren gekommen: von Ehepaaren, die abends getrennt in Andechs losfuhren, um das Auto in die Werkstatt nach Herrsching zu bringen, sich aber immer tiefer im Nebel verfranzten und erst im Morgengrauen wieder auf sich und ihre zu Hause vergessenen Handys stießen. Von einer sonst durchaus patenten Frau, die leider die richtige Abfahrt im Söckinger Kreisel verpasste, auf der mysteriösen Starnberger Westumfahrung landete, schließlich durch Unering kam und zu ihrem Schrecken an der Stelle, wo früher eine große Baulücke war, ein vom Nebel umfangenes neues Haus erblickte. Und von einem Mann, die nur mal schnell zum Starnberger Wertstoffhof wollte, und in Zagreb - nein, stopp: in Geretsried-Stein herauskam, wo die Welt auch zu Ende ist. Ja, das war ich. Und das Verrückte ist: Ich brauch' kein Auto und kein GPS, ich beweg' mich doch durch Translokation vorwärts. Aber in Jogginghosen und bei dichtem Nebeltreiben hat das auch so seine Tücken, glaubt

© SZ vom 14.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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