Musikkabarett:Was Kannibalen freitags speisen

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Der Wahlberliner Sebastian Krämer übernimmt den ersten Kulturabend des Seefelder Vereins Räsonanz nach dem Lockdown. Als Liedermacher setzt er auf obskure Geschichten, als Kabarettist auf sanfte Entlarvung

Von Patrizia Steipe, Seefeld

Es werde ein trauriger Abend werden, sagte Sebastian Krämer, "Moll ist doch immer schöner". Da nach dieser Aussage im Seefelder Pfarrsaal Peter und Paul bereits die ersten Lacher einsetzten, wurde schnell klar: Das mit dem Ernst, daraus wird nichts.

Heitere Lieder mit sehr merkwürdigen Texten: Irgendwo zwischen Reinhard Mey und Stephen King verortet sich Sebastian Krämer selbst. (Foto: Georgine Treybal)

Zum Auftakt ihres Kulturprogramms nach dem Corona-Lockdown hat der Verein Räsonanz Seefeld Sebastian Krämer in die Gemeinde geholt. Statt vor vollem Haus trat der Liedermacher mit komödiantischem Talent vor 50 mit viel Abstand platzierten Zuschauern auf. Vereinsvorstand Josef Hofmann und sein Team hatten ein Hygienekonzept realisiert, bei dem es nicht nur die gewohnten Einbahnregelungen für die Zuschauerströme, Desinfektion und Abstand gab, sondern bei dem vor allem auf eine gute Lüftung geachtet wurde. "Unser Publikum gehört der vulnerablen Bevölkerungsgruppe an", sagte Hofmann, also der verwundbaren älteren Generation.

Krämer hat 2020 den Bayerischen Kabarettpreis erhalten. Als Kabarettisten kann man ihn allerdings nur bedingt bezeichnen. Der Wahlberliner lässt sich schwer in eine Kategorie einordnen. Das ist durchaus gewollt. In seinen Texten und Liedern klingt immer wieder der Widerwille durch, Sprache zu analysieren, zu interpretieren, ihr dadurch ihren Zauber und alles Schöne zu nehmen. Irgendwo zwischen Reinhard Mey und Stephen King verortet sich Krämer selbst, aber auch ein wenig von der schwarzen Morbidität eines Georg Kreisler klingt durch seine Lieder, die im ersten Moment fröhlich wirken, deren Texte aber irgendwie merkwürdig und mysteriös sind.

Dabei sind die Abgründe nicht allzu tief. So steht bei den Kannibalen lediglich eine "Fingerkuppensuppe" auf dem Speiseplan, "zum Frühstück gibt es Butterbrot und freitags Fisch". Oft werde er gefragt, "wo kommen diese seltsamen, kranken Geschichten her?", sagte Krämer. Dabei sei das Erfolgsrezept ganz einfach: "Auf Arbeit ein bisschen die Augen offen halten, Notizen machen - schon ist das Lied fertig".

"Im Glanz der Vergeblichkeit - Vergnügte Elegien" lautete der Titel des Programms. Worthülsen, das hochtrabende Geschwafel eines Bildungsbürgertums, aber auch die Selbstverliebtheit so mancher Autoren in ihre pseudohaften Textungetüme zu entlarven, das ist genau das Ding von Krämer. Den Drang habe er bereits als Schüler ausgelebt. Da habe er es sich zum Sport gemacht, einen in der Mitte einer Seite begonnenen Satz bis zur nächsten Seite fortzuführen, scherzte Krämer, der in jungen Jahren als Poetry Slammer Erfolge gefeiert hatte. In Seefeld zog Krämer sein altes Schulheft aus dem Jahr 1993 hervor und zitierte aus einem Aufsatz über Kafka. Darin hatte er flugs die "Abschweifung" zu einem Stilmittel der Erörterung gemacht, sein sprachliches Potenzial dazu genutzt, 500 Mal den Namen seiner Banknachbarin "Finja" hintereinander aufzuschreiben, um dann zu einem Rundumschlag gegen Deutschlehrer und Schulunterricht auszuholen. Damit wollte er seine These untermauern: "Kafkas Werk hätte verbrannt werden sollen, um es vor dem Deutschunterricht zu retten."

Der corona-sicher besetzten Pfarrsaal in Seefeld. (Foto: Georgine Treybal)

Angesichts der Tatsache, dass Krämer später zum "German International Poetry Slam Champion" ernannt wurde, möchte man gerne glauben, dass die ironische, aber inhaltlich knallharte Abrechnung mit dem drögen Deutschunterricht auch tatsächlich aus der Feder des damaligen Gymnasiasten stammte.

Aber Krämer ist nicht nur Sprachvirtuose, sondern auch Pianist und Komponist. Vor drei Jahren hat er den Deutschen Musikautorenpreis der Gema und den Deutsch-Französischen Chansonpreis gewonnen. Seine Lieder behandeln Alltägliches wie eine vergessene Puppe im Garten oder das chaotische Jugendzimmer von Patrick. Auch von den Sorgen eines modernen Drachentöters singt er. Es sind gefühlte 100 ein wenig sinnentleerte und seltsame Strophen, die Ähnlichkeit mit einer Art Moritat haben. Übrigens: Krämer hat etwas ganz Neues erfunden: "Das sich selbst ansagende Lied". Der Titel lautet "Schickiwicki". Statt einer Ansage gibt es die Inhaltsanalyse mit Rezeption gleich als Songtext. "Damit Sie auch etwas lernen."

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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