Musikalische Lesung:Der Schatten der berühmten Familie

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"Gitarre spielen sollte meine Zukunft sein": Der Schriftsteller Anaton Regnier bei seiner Lesung in Starnberg. (Foto: Fuchs)

Anatol Regnier liest im Starnberger Bahnhof aus seinem Buch "Wir Nachgeborenen" und spielt Gitarre

Von Ute Pröttel, Starnberg

"Was hätte man die Frau alles fragen können!" Anatol Regnier bereut bestimmt wenige Dinge, doch durchaus, dass er Therese Giehse nicht viel mehr nach ihrem Leben und ihrer Zeit fragte. Regnier hängt kurz seinem Gedanken nach. Gestützt auf die Akustik-Gitarre sitzt er im lindgrünen Pullover über einem blaukarierten Hemd im historischen Wartesaal des Starnberger Bahnhofs. Als Zugabe des Abends spielt er ein vertontes Gedicht von Bertolt Brecht, das ihn gedanklich zurückführt in frühere Tage, als er die Schauspielerin und Kabarettistin Therese Giehse in den Kammerspielen bei ihren Brecht-Abenden mit zwei weiteren Musikern begleiten durfte. Anschließend wurden die jungen Musiker immer zum Essen eingeladen, was hätte man da Therese Giehse alles fragen können!

Vor den Fenstern des historischen Wartesaals stand kurz zuvor ein Dreiergrüppchen junger Mädchen. Das Handy in der Hand, die Handtasche lässig am Arm, eine Bierflasche mit Mönch darauf macht die Runde. Es ist Freitagabend, und bevor es auf die Piste geht, trifft man sich am roten Scheinwerfer, der die Fassade des Gebäudes beleuchtet. Als sie registrieren, dass der Saal hinter den Fenstern voll besetzt ist, trollen sie sich kichernd. Wenn sie wüssten, was ihnen gerade entgeht.

Regnier liest aus seinem Buch "Wir Nachgeborenen - Kinder berühmter Eltern". Er wurde in einem besonders kreativen Kosmos groß. Ob das nun ein reines Glück war, vermag der Autor selber nicht zu sagen. Regnier spricht vom besonderen Schicksal: Sein Vater war der Schauspieler Charles Regnier, die Mutter die Tochter des Dramatikers Frank Wedekind. Die ersten Lebensjahre verbrachte er mit der Familie, zu der auch noch zwei Schwestern gehörten, im Malvenhaus zwischen Ambach und St. Heinrich. Großmutter Tilly Newes, ihrerseits Schauspielerin, lebte ebenfalls mit im Haushalt. Ihre große Liebe war nach dem Tod von Großvater Frank Wedekind der Dichter Gottfried Benn. Erika und Klaus Mann waren die engsten Freunde seiner Mutter Pamela Wedekind, und das bald noch durch Gustaf Gründgens ergänzte Dreigespann tollte gerne auf "der Spielwiese der öffentlichen Wahrnehmung", wie es Regnier formuliert. Schauspieler, Musiker, Regisseure und Autoren kreuzen seinen Lebensweg. Irgendwann kurz vor dem Einschlafen wird dem Jungen Anatol klar, dass sein Vater nicht nur äußerst liebenswert und stets gut gelaunt, sondern auch berühmt war. Das machte ihn glücklich. In seinem Buch "Wir Nachgeborenen" gibt Regnier viele Anekdoten aus dem eigenen Leben prei. Er hat sich aber auch mit anderen Nachfahren berühmter Eltern unterhalten. Wie umgehen mit dem Faktum, in eine privilegierte Situation geboren worden zu sein? Ist ein berühmter, ererbter Name Türöffner oder Hindernis?

Anatol Regnier, mittlerweile 71, ist aus dem Schatten der erfolgreichen Vorfahren herausgetreten. Hat seinen Weg gefunden. Er ist ein gemütlicher älterer Herr, dem der Lausbubenschalk noch aus den Augen blitzt. Das Medium seiner Emanzipation war die Gitarre. Ein knallgelbes Instrument mit dem Wort Chaka! darauf brachte der Vater dem Sohn einst von einem Dreh in Südafrika mit, und mit ihm nahm das Schicksal seinen Lauf. "Gitarre spielen sollte meine Zukunft sein", sagt Regnier, "alles andere war mir egal." Er studierte am Royal College of Music in London, spielte Konzerte im In- und Ausland, unterrichtete viele Jahre am Richard-Strauss-Konservatorium in München und emigrierte für zehn Jahre nach Australien. Seine Heimat blieb jedoch immer Ambach. Wie sollte es auch anders sein, wo doch die Mutter dem Vater in der Nacht seiner Geburt im Januar 1945 auftrug, die Plazenta im See zu versenken.

Und so liest Anatol Regnier an diesem Abend vier rein autobiographische Passagen, die allesamt am Starnberger See spielen. Zwischen den einzelnen Kapiteln spielt er Gitarre. Sehr konzentriert und ohne Notenblatt die instrumentalen Stücke, mitreißend und fröhlich die Lieder von Großvater Frank Wedekind und anderen. Eingeladen zur Lesung mit Musik hatte das Kulturamt Starnberg zusammen mit den Kunsträumen am See.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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