Musik:Wuchtig, bewegend und zart

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Musikalische Verbeugung vor Haydn: Christiane Behn. (Foto: Georgine Treybal)

Pianistin Christiane Behn beweist, dass Musik von Haydn und Brahms noch heute ihren Reiz hat

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Meist konzentrieren sich Haydn-Ehrungen auf Streichquartette, in denen der große Meister unvergleichliche Qualität erreicht. Ansonsten heißt es, er sei als Komponist konservativ gewesen. Die Hamburger Pianistin Christiane Behn trat mit ihrer "Verbeugung vor Haydn" mit Klavierwerken den Gegenbeweis an: Der Orlandosaal der Starnberger Musikschule, in den Kulturgestalterin Elisabeth Carr ("Kunsträume am See") eingeladen hatte, passte ganz gut zur Vorstellung einer Wiener Kammermusik aus der Zeit zwischen Ende des 18. und Ende des 19. Jahrhunderts. Die lange Zeitspanne war ein Indiz: Haydn wirkte nachhaltig.

Gut 100 Jahre lagen zwischen Joseph Haydns Fantasia C-Dur "Capriccio" Hob. XVII:4 und Brahms' Intermezzi op. 119. Zweifelsohne war Beethoven für Brahms ein wichtiges Vorbild, doch allzu mächtig, um über dessen Errungenschaften hinaus zu denken. Haydn mit seiner spielfreudigen Leichtigkeit war zugänglicher: eine Inspiration für neue Ideen schlechthin. Gerade seine Klavierwerke weisen Vitalität und Frische auf, sogar noch in seiner Spätphase. Die Fantasie von 1789 ist immerhin die Schöpfung eines 57-Jährigen. Dass er als Thema das österreichische Volkslied "Do Bäuren hat d'Katz valor'n" wählte, zeugt von Humor und Originalität. Behn ließ sich mit spritziger Leichtigkeit darauf ein: Sie arbeitete die Zwischenpointen mit überraschenden Wendungen packend, aber auch mit Fingerspitzengefühl aus.

Haydns Variation f-Moll "Un piccolo Divertimento" Hob. XVII:6 - offiziell sein letztes Klavierwerk - entstand zwar 14 Jahre vor seinem Tod. Dennoch ist es in gewisser Weise ein Vermächtnis. Das dürfte zwischen beiden Kompositionen der wesentliche Unterschied sein, auf den Behn ihre Interpretation fokussierte. Die Variationen gab sie mit reicher Dynamik und differenzierte mutig mit emotionaler Expressivität: ruhig ausgespielt, mächtig in den Verdichtungen. Fast zu viel des Guten vor allem in den klangsatten Höhepunkten, denn Haydns Möglichkeiten in der Dynamik waren aufgrund der verfügbaren Instrumente doch eher eingeschränkt.

Bei Brahms war der Zugriff engagierter, gerade das ruhelose Capriccio op. 116/1 "Molto energico". Dieses Stück tendierte anfänglich zu einer wuchtig behauenen Skulptur - selbst in den Rücknahmen. Ähnlich auch im Capriccio op. 119/7, doch dort fand Behn neben Virtuosität zu sinnierender Bewegtheit. Auch erklang noch etwas aus Brahms letztem Klavierzyklus: Mit den Intermezzi op. 119/1 und 2 aus den "Vier Klavierstücken" hielten schönmalerisch verträumte Elemente Einzug. Das Adagio blieb verhalten in zurückgenommener Dynamik; das Andantino floss bewegter, verdichtete sich kraftvoll, klang aber wunderbar zart aus.

Purer Ausdruck bei reduzierter Tonsprache: Dieses Prinzip gilt wohl für fast jedes Spätwerk der Musikgeschichte. Im Grunde auch für Schuberts letztes Werk, die Sonate B-Dur D 960, die der 31-Jährige im Angesicht seines bevorstehenden Todes zum Spätwerk avancieren ließ. Eine tragische Konstellation, der Behn mit extremen Ausprägungen begegnete, es dabei mit routiniert kaschierten Textaussetzern spannend machte. Haydns Vorbild ist eher in den Orchesterwerken Schuberts spürbar, doch angesichts der symphonischen Attitüde der Sonate gilt es durchaus auch für dieses großformatige Werk. Wie in allen Kompositionen Schuberts im Bewusstsein des nahenden Todes ist auch in dieser Sonate die Seelentiefe das zentrale Thema, das Behn besonders in schönmelodischen Gesängen und sehnsuchtsvollen Rücknahmen feinsinnig changierend spürbar machte. Wie aus dem Nichts hervorbrechende Härten in orchestraler Fülle gestanden Schubert zu, sich bisweilen Schmerz und Verzweiflung von der Seele geschrieben zu haben. Ein überaus menschlicher Zug, der starke Akzente in die sonst versöhnliche Melodik, tänzerischen Fluss und volkstümliche Vergnügtheit setzte.

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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