Musik:Virtuose Wildheit

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Kontrabassist Lars Danielsson prägt die schwedische Jazz-Szene. Mit seinen Musikerkollegen erregt er beim Feldafinger Publikum Gänsehaut. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Jazz am See" startet in Feldafing mit einem fulminanten Konzert in die neue Saison. Der schwedische Kontrabassist Lars Danielsson verströmt mit seinem Ensemble gewaltige Klangfluten

Von Reinhard Palmer, Feldafing

Es ist immer wichtig, einen guten Start hinzulegen. Erst recht, wenn es sich um eine Konzertreihe handelt. Demnach dürfte diese Konzertsaison von Jazz am See ein höchst erfolgreiches Unternehmen werden, nachdem sich das Eröffnungskonzert als Volltreffer erwies. Dem schwedischen Kontrabassisten Lars Danielsson eilte offenbar ein glänzender Ruf voraus. Füllte sich doch der Bürgersaal im Feldafinger Rathaus zum Saisonstart bis auf den vorletzten Platz. Zweifelsohne gehört der Sechzigjährige international zu den besten seines Fachs und prägt seit Jahren den schwedischen Jazz mit einer kultivierten, klangschönen und einfühlsamen Spielart. Darin ist er ganz seiner klassischen Ausbildung (auch am Violoncello), aber vor allem auch der nordischen Tradition verpflichtet, die zu Melodik, Wohlklang, Atmosphäre und seelentiefem Ausdruck neigt. Ein harmloses, Dahinsäuseln ist damit keinesfalls gemeint.

Im Gegenteil: Danielsson geizt nicht mit Inspiration, spieltechnischen Finessen und überraschenden Wendungen. Dabei erwies sich das Lyrisch-Elegische jedoch stets als ein geistiger Bezugspunkt, als eine innere Heimat. Mit ihren heimeligen Neigungen sind die Schweden aber zum Glück nicht alleine, sodass hier ein homogenes Ensemble die Bühne betrat: mit dem Briten John Parricelli an der halbakustischen Gitarre, dem auf Martinique geborenen Franzosen Grégory Privat standesgemäß am echten Flügel und dem Schweden Magnus Öström am Schlagzeug. Und diese Homogenität ist im dreiteiligen Projekt Liberetto absolut notwendig, denn im Focus steht darin zwar durchaus die Imagination der einzelnen Musiker, vor allem aber die Dynamik der vier Musiker im Zusammenspiel als Klangkörper. Das Klangerlebnis war mit dieser Formation auch etwas ganz Besonderes. Die Dramaturgie eines jeden Stückes führte immer wieder zu einem klangsatten, voluminösen und harmonisch austarierten Höhepunkt, in dem immer wieder gewaltige Klangfluten ins Publikum strömten. Eine Ekstase aus Fülle und Farbigkeit die schon Gänsehaut hervorrufen konnte.

Es begann jeweils ähnlich, mit einem einfühlsamen, geradezu legendenhaft erzählenden Intro als Hinführung auf das Thema, das sich in allen drei melodiefähigen Instrumenten vorstellen konnte. Doch die nachfolgenden Improvisationen über das Thema waren eben noch nicht der Höhepunkt. Sie dienten vielmehr der Weiterentwicklung, um sich mit Substanz und erfrischenden Ideen aufzuladen. Nach langer Vorbereitung, allmählicher Intensivierung und Verdichtung entlud sich erst dann das Aufgestaute jeweils als waghalsiger Himmelsritt. Und die vier Musiker kosteten diesen Effekt lange aus, entwickelten immer unermesslichere Szenarien von virtuoser Wildheit. Immer weiter bis zu einer imaginären Grenze, an der sich die Wirkung nicht weiter steigern ließ und ein anderer Effekt nötig wurde, um die Gefühlswallungen weiterhin in starke Empfindungen umzuleiten. Der Kunstgriff war hier so einfach wie wirksam: Plötzliche Wendung zurück zum leisen, nun frappierend schlicht empfundenem Thema. Sozusagen eine Kehrtwende aus voller Fahrt.

Die anfangs noch angesagten Titel waren letztlich nicht mehr als Vorschläge zu bildhaften Vorstellungen beim Hören. Was dann tatsächlich zu hören war, lieferte Stoff für szenenreiches Kopfkino. Zumal es hier stilistisch keinesfalls nur bei der nordischen Jazzvariante blieb. Die Musiker griffen die Eigenheiten der einzelnen Themen mit ausgeprägtem Sinn für deren Potenziale auf. John Parricelli interpretierte so immer wieder gerade die lyrischen Stücke als herrliche Rockballaden, die er mit imaginativ schwebenden Gesängen versah. Auch schon mal funky oder bluesig. Grégory Privat indes entsann sich bisweilen seiner karibischen Herkunft, wirbelte repetitiv mit einprägsamen Motiven, die er in perkussiver Schärfe zum harten Puls Öströms in den Kontext setzte. Die Kontraste zeigten sich sehr effektvoll, sprengten aber niemals die Balance der Combo, was so dem Ohr schmeichelte. Das Publikum jubelte frenetisch und gab sich erst nach zwei Zugaben zufrieden.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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