Irrfahrt mit dem "Delphin":Die Fantasie sticht in See

Lesezeit: 2 min

Benjamin Tillig (links) und Rupert Bobb bei ihrem Auftritt im Museum Starnberger See. (Foto: Nila Thiel)

Bei einer szenischen Lesung im Starnberger Heimatmuseum entführen Benjamin Tillig und Rupert Bopp ihre Zuhörer zu Hirschjagden und Ungeheuern.

Von Katja Sebald, Starnberg

Wer hätte gedacht, dass der Delphin noch einmal in See sticht? Das einzige vollständig erhaltene Ruderboot aus der königlich-höfischen Flotte ist das Glanzstück des Museums Starnberger See. Sieht man einmal von der schnöden Wasser-Fototapete ab, auf der er sein Dasein fristen muss, dann liegt der Delphin nun schon seit bald 130 Jahren auf dem Trockenen; Restauratoren wachen über das Wohlbefinden des 1838 gebauten königlichen Leibschiffs. Als Museumsleiter Benjamin Tillig am Donnerstag die Leinen löste, geschah das im Schutz der Dunkelheit. Ungesehen blieb seine nächtliche "Irrfahrt mit dem Delphin", auf der ihn Rupert Bopp als Maschinist begleitete, freilich nicht: Zahlreiche Zeugen des Geschehens drängten sich in den dunklen Ausstellungsraum.

Ungeachtet der Tatsache, dass der Delphin eigentlich von sechs Ruderern bewegt wird, warf nun Bopp den in einer kleinen Plastikflasche verbauten Sprudelwasser-Schüttel-Schiffsmotor an und tuckerte mit Blumenvasen-Geplätscher auf den nächtlichen See hinaus. Der Klangkünstler und Multiinstrumentalist war für alle Unwägbarkeiten der Seefahrt gerüstet: Er zauberte nicht nur Wind und Wellenschlag, Blitz und Donner, Eisbrechen und Schnürlregen aus seinem musikalischen Nähkästchen, sondern entlockte seinen Rasseln, Tröten und wundersamen Gerätschaften auch die Morgenstimmung des Forstenrieder Parks, den Klang von Jagdhörnern und Hundegebell, die Musik von Liebesfreud und Liebesleid. Er flötete und geigte, zupfte und trommelte, er ließ das schmachtende Fräulein mit einem "wehen Aufschrei" in die Fluten springen, den kopflosen Reiter um die Roseninsel galoppieren, und er ließ sogar den schrecklichen "Würm", jenes sagenhafte Ungeheuer, aus den Tiefen des Sees auftauchen.

Mit Sätzen aus "Moby Dick" geht es aufs offene Meer

Unerfahren als Navigator, als Vorleser aber durchaus brauchbar: Benjamin Tillig, Leiter des Museums Starnberger See. (Foto: Nila Thiel)

Tillig aber, als Navigator unerfahren, als Vorleser aber offenkundig sehr geübt, lenkte den Delphin mit den ersten Sätzen aus Melvilles Abenteuerroman "Moby Dick" gleich zu Beginn aufs offene Meer der Weltliteratur hinaus: "Als ich vor einigen Jahren - wie lange es genau her ist, tut wenig zur Sache - so gut wie nichts in der Tasche hatte und von einem weiteren Aufenthalt auf dem Lande nichts mehr wissen wollte, kam ich auf den Gedanken, ein wenig zur See zu fahren." Die Zuhörer folgten ihm an den Starnberger See und zurück in die Vergangenheit. Sie hörten von Hirschjagden des Münchner Hofs, für die in früheren Jahrhunderten das Wild in den See getrieben wurde, und sie begegneten dem barocken Prunkschiff Buzentaur: Kurfürst Ferdinand Maria und seine italienische Ehefrau hatten den venezianischen "Bucintoro", mit dem der Doge aufs Meer hinausfuhr, nachbauen lassen. Nur ein Stockwerk höher und noch ein wenig feudaler musste ihr schwimmendes Jagdschloss sein.

Am Grunde des Sees lauert eine riesige Schlange mit dem Kopf einer Muräne: Der Würm

Kein Wunder, dass man mit diesem prächtigen, aber wenig seetüchtigen Gefährt bald in Seenot geriet und von einem Fischer aus Berg gerettet werden musste. Drüben am Ostufer traf die Reisegesellschaft auf die "Liebenden vom Starnberger See", die einander im Leben nicht haben durften, aber im Tod auf dem Seegrund vereint sind. Vor allem aber haust dort unten seit uralten Zeiten die riesige Seeschlange mit dem Körper eines Aals und dem Kopf einer Muräne: "Der Würm, der Würm, das Ungetürm", sang Bopp vom Bug des Schiffs. Und so musste Tillig auf dieser verwegenen Bootsfahrt nicht nur mit Odysseus dem Gesang der Sirenen widerstehen und Skylla und Charybdis umschiffen, er musste sich auch noch vor dem Würm in Acht nehmen: "Denn wenn es ihn nach oben zieht, dass heißt es Ach und Weh."

Mit dieser stimmungsvollen musikalischen Lesung, für die er selbst die Textauswahl traf, hat Tillig sein Museum in einem neuen Format zu einem lebendigen Ort der Begegnung gemacht und ein Versprechen eingelöst, das er 2019 bei seinem Antritt in Starnberg gab: Er wolle sich einmal dem Thema "Seeungeheuer" widmen, sagte er damals.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: