Literatur:Mehr Technik als Texte

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Gebannt verfolgen die Besucher des Literarischen Herbstes, wie Ingenieur Michael Schmidbauer die Vorgänge auf der Raumstation erläutert. (Foto: Nila Thiel)

Im Literarischen Herbst kommen bei der DLR vor lauter Raumfahrt die Autoren zu kurz

Von Katja Sebald, Oberpfaffenhofen

Vielleicht das Schönste an der Veranstaltungsreihe "Literarischer Herbst" ist, dass sie Lesungen an außergewöhnlichen Orten bietet und Türen öffnet, die normalerweise für Besucher geschlossen sind. Das Schlimmste am Literarischen Herbst ist, dass die Veranstaltungsorte zuweilen so interessant sind, dass die Literatur geradezu ins Hintertreffen gerät. Am Donnerstag hatte das erfinderische Veranstalterduo Elisabeth Carr und Gerd Holzheimer zu einer Reise zum Mond eingeladen: Startpunkt war das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen.

Unter dem Motto "Ui, der Mond!" und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hatten sich reichlich Besucher zum Countdown eingefunden. Unter ihnen waren nicht nur Literaturbegeisterte, sondern vor allem jede Menge Technikfreaks, die sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, einen echten Luft- und Raumfahrtingenieur zu befragen. Sie trafen auf den DLR-Betriebsingenieur Michael Schmidhuber, der zunächst anhand eines Modells und dann auf der Besuchertribüne über dem "Columbus Control Center" höchst eindrücklich die Arbeit auf der Internationalen Raumstation ISS erklärte.

Der derzeit einzige ständig bemannte Stützpunkt im All ist das größte außerirdische Bauwerk der Menschheitsgeschichte und wird in internationaler Kooperation betrieben, die ISS kreist in rund 400 Kilometern Höhe mit einer Geschwindigkeit von achtzig Kilometern pro Sekunde. Für eine Erdumrundung braucht sie neunzig Minuten. Das Columbus-Modul der ISS ist der europäische Beitrag zur Forschung im Weltraum und wird von Oberpfaffenhofen aus betreut. Die Astronauten führen in der Schwerelosigkeit des Orbits Experimente durch, sie bauen Pflanzen an und entwickeln neue Metalle - Donnerstagnachmittag aber hatten alle frei. Neben jedem der neun Namen fand sich auf dem Bildschirm das Symbol für Schlaf. Der Grund: Zwischen der Ankunft von drei neuen Astronauten am Tag zuvor und der geplanten Abreise von drei anderen gab es eine Ruhepause für die Besatzung.

Nicht aber für Schmidhuber, der so unermüdlich die Fragen der Besucher beantwortete, dass beinahe die Dichter nicht mehr zu Wort gekommen wären. Der Standortleiter Reinhold Busen höchstpersönlich begleitete die Mondanbeter in den "Roten Salon" des Kontrollzentrums, wo Elisabeth Carr und Gerd Holzheimer wenigstens noch eine kleine Auswahl von Texten vortragen konnten: Goethes Gedicht "An den Mond" durfte dabei ebenso wenig fehlen wie Joseph von Eichendorffs "Mondnacht". Vor allem aber gab es viel Kurioses, angefangen vom wundersam-widersprüchlichen "Dunkel war's, der Mond schien helle" bis hin zu Karl Valentins Erkenntnis, dass einem Flug zum Mond nichts entgegenstünde - einziges Hindernis könnte dabei bloß die Entfernung von der Erde zum Mond sein. Christian Morgenstern steuerte "Mondendinge" bei und ließ zwar nicht sein trauriges Mondschaf, aber immerhin ein Mondkalb auftreten: "Dinge gehen vor im Mond / die das Kalb selbst nicht gewohnt / Tulemond und Mondamin / liegen heulend auf den Knien." Aus Carl Orffs Oper "Der Mond" schließlich stammte der titelgebende Ausruf: "Ui, der Mond!"

Am 5. Oktober lädt der Literarische Herbst um 14 Uhr zu einer Begegnung mit Homer und Perikles im Dießener Schacky-Park ein.

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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