Leistungssport in der Corona-Krise:Die Lust am Kampf

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Der Kampfsportclub Tutzing hat mehrere Kickbox-Weltmeister in seinen Reihen. Seit Trainer Walter Oswald zum Landestrainer berufen wurde, kann auch wieder trainiert werden. Im Fokus stehen Ausdauer, Gelenkigkeit und mentale Stärke - Schlägertypen sind aber nicht erwünscht.

Von Carolin Fries, Tutzing

Nur wenige Autos stehen auf dem Parkplatz an der Würmseehalle, Sport ist in der Pandemie schon seit Monaten nicht mehr erlaubt. In der Tutzinger Halle leuchten trotzdem die Lichter, zumindest im Trainingsbereich, wo blaue Bodenmatten in der Mitte des Raumes liegen und schwarze Boxsäcke von der Decke hängen. "Zeit wird's", sagt Tobias Winterholler, streicht sich über den Bauch und lacht verlegen: Der 22 Jahre alte Weltmeister im Kickboxen kämpft in der Gewichtsklasse bis 85 Kilogramm, "nach Monaten ohne Training bin ich da jetzt leicht drüber."

Im Training kämpft jeder gegen jeden. (Foto: Arlet Ulfers)

Leicht drüber waren sie auch nervlich, nachdem die Pandemie die 110 Sportler des Tutzinger Kampfsportclubs (KSC) zwischen sechs und 53 Jahren ohne jegliche Perspektive ausgebremst hat. Inzwischen kann Walter Oswald aber wieder lächeln: Im Januar hat ihn der zweitgrößte deutsche Kickbox-Verband WKU zum Landestrainer berufen - "jetzt darf ich mit einem Leistungskader wieder trainieren", sagt er. Zehn Sportler treffen sich seither wieder regelmäßig in der Tutzinger Halle, darunter auch zwei Weltmeister.

Die Weltmeister Tobias Winterholler und Viola Partheymüller. (Foto: Arlet Ulfers)

Viola Partheymüller schlägt mit den Fäusten und Füßen in die Pratzen, die Trainer Oswald immer wieder woanders platziert. Die 24 Jahre alte Auszubildende aus Weilheim hätte ihren Titel im vergangenen Jahr gern verteidigt, nun hofft sie darauf, in diesem Winter die Gelegenheit zu bekommen. Doch ob überhaupt Wettkämpfe und damit eine Qualifikation stattfinden kann, ist fraglich. "Immerhin gibt's wieder Training", sagt sie. Dreimal in der Woche fährt die angehende Feinmechanikerin nach Berufsschule oder Arbeit zum Training, "da komme ich runter, der Rest ist dann weg". Sie kann sich eine Profikarriere vorstellen, Trainer Oswald traut ihr viel zu. "Sie ist so gelenkig, dass viele fragen, ob sie mal Ballett gemacht hat." Viola lächelt müde: Hat sie nicht, sie kriegt die Beine einfach sehr weit hoch und trainiert diszipliniert. Auf die Frage, wie viele Rumpfbeugen sie schafft, sagt die Sportlerin: "So viele wie ich muss." Die Weilheimerin hat sich schnell nach oben gekämpft, erst vor viereinhalb Jahren begann sie mit dem Kampfsport: "Ich wollte das mal ausprobieren und habe es gegoogelt".

Die Weltmeister-Trainer Nicolas Plaschke und Walter Oswald (von links). (Foto: Arlet Ulfers)

Auch die sportliche Karriere von Tobias Winterholler war ein Blitzstart. Der 22-Jährige ist vor drei Jahren beim Kickboxen gelandet, er hatte "Lust, sich zu messen" und erachtet Kickboxen dafür als die "ehrlichste Form": Zwei Kämpfer, keine Hilfsmittel, drei Runden à drei Minuten. "Das Anstrengendste ist es, die Angst zu überwinden", sagt Winterholler, der darin besonders gut zu sein scheint. Vorstandsvize und Trainer Nicolas Plaschke, 36, bescheinigt seinem Schützling große Unerschrockenheit. Winterholler selbst sagt, seine stärkste Waffe sei sein "Vorwärtsgang".

Wie Trainingspartnerin Partheymüller auch kämpft er in der Disziplin Leichtkontakt, die technisch, vor allem aber konditionell sehr fordernd ist. Im Wettkampf zählt nicht die Wucht der Schläge, sondern deren Präzision und Ausführung. Auch, wenn die Runden nur drei Minuten lang sind, "braucht es größte Konzentration", weiß Oswald. Der 52-Jährige hat als Jugendlicher mit dem Kampfsport begonnen und führt seit 2019 den Schwarzgurt als Meistergrad im dritten Dan. In Tutzing haben bereits fünf seiner Athleten Weltmeistertitel erkämpft, der jüngste mit 13 Jahren. Die Sportler bräuchten nur "Lust und Motivation", sagt er, alles andere könne man lernen. Der Sport stehe im Vordergrund, "Schläger werden rausgeworfen".

Die jungen Weltmeister schätzen ihre Trainer sehr. "Sie haben mein ganzes Wissen aufgebaut, mir meine Fehler aufgezeigt", sagt Winterholler. Viola Partheymüller erzählt von den gemeinsamen Fahrten zu Turnieren, üppigen Abendessen am Vorabend der Wettkämpfe - aber erst nach dem Wiegen - und dem Glauben an den Sieg. Sie alle wünschen sich, möglichst bald wieder Wettkämpfe bestreiten zu können. Tobias Winterholler ist zwar unlängst zum Informatik-Studium von Weilheim nach Regensburg gezogen, den Sport aufgeben will er aber nicht. Sein sportliches Ziel sei es, im Vollkontakt zu kämpfen. "Das reizt mich." Trainer Oswald signalisiert Zustimmung: "Wenn er das will."

© SZ vom 29.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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