Kunst:Neuer Blick auf Altbekanntes

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Die Künstler Ramzi Maqdisi, Olivia Furber, Sara Bigdeli-Shamloo und Nima Aghiani (von links) haben den Spaziergang durch Feldafing als Fremdenführer für Einheimische konzipiert. (Foto: Nila Thiel)

Stipendiaten der Villa Waldberta inszenieren einen Spaziergang durch Feldafing als Führung durch eine fiktive Stadt

Von Katja Sebald, Feldafing

Was passiert, wenn man den Begriff "Fremdenführer" einmal so interpretiert, dass der Fremde die Führung übernimmt und Einheimische ihren Wohnort so zeigt, wie sie ihn noch nie gesehen haben? Vier Stipendiaten der Villa Waldberta haben als Ergebnis ihres Forschungsaufenthalts in Feldafing einen Spaziergang in eine solche Parallelwelt konzipiert. Immerhin eine knappe Handvoll Besucher hatte im vorweihnachtlichen Trubel am Mittwochnachmittag Zeit und Muße gefunden, sich auf dieses Experiment einzulassen.

Im Dezember sind einige Künstler aus dem Bereich Theater, Film und Musik zu Gast in der Villa Waldberta, dem Künstlerhaus der Stadt München in Feldafing. Die Theaterregisseurin und Schriftstellerin Olivia Furber aus London traf dort auf Ramzi Maqdizi aus Palästina, der in Tel Aviv Darstellende Künste studierte, die Filmhochschule in Barcelona besuchte und als Filmemacher wie auch als Schauspieler arbeitet. Zusammen mit dem aus Teheran stammenden und in Paris beheimateten Duo "9TAntiope", bestehend aus der Sängerin Sara B. Shamloo und dem Musiker Nima Aghiani haben die beiden eine imaginäre Stadtführung konzipiert, mit der sie bereits an verschiedenen Orten in München und jetzt auch in Feldafing unterwegs waren.

Als Inspiration für das Projekt diente die Situation in Jerusalem, wo Stadtführungen ein scharf kontrollierter Wirtschaftszweig sind. Überdies können sie, je nachdem aus welcher Perspektive die Geschichte der Stadt erläutert wird, so unterschiedlich ausfallen, dass man meinen könnte, es handle sich um zwei völlig verschiedene Orte. Und so dienen denn auch die Eckpunkte der Geschichte Jerusalems als Ausgangspunkt für die fiktive Geschichte der fiktiven Stadt, in deren Straßen die Spaziergänger in Feldafing unterwegs waren.

Die Besucher wurden zu Beginn mit Smartphones und Kopfhörern ausgestattet, um an sechs verschiedenen Stationen Texte in englischer Sprache über die "Geschichte" des jeweiligen Ortes zu hören. Gleichzeitig wurden sie gebeten, sich möglichst unauffällig zu verhalten und sich nicht als Mitglieder einer Reisegruppe zu erkennen zu geben, insbesondere, wenn man sich den "sensiblen" Punkten der Stadt nähern würde. "Ich seh' etwas, was Du nicht siehst" stand als Motto über dieser Stadtführung: Und so bekam die evangelische Kirche an diesem grauen Nachmittag goldglänzende Kuppeln. Die hölzerne Einhausung des Brunnens am Bernheimer-Platz wurde zu einem "heiligen Stein", auf den Besucher bereitwillig die Hände auflegten, um seine "Kraft" zu spüren. Hinter dem Tor zum Gelände der Grundschule tat sich ein geheimnisvoller Garten auf, der zugleich im Himmel und auf Erden, in Vergangenheit und Gegenwart existierte. Mitten auf der Höhenbergstraße erhob sich plötzlich eine unüberwindbare Mauer anstelle der geschwungenen schmiedeeisernen Gartentore. Nicht ein Villengrundstück wurde vom anderen getrennt, sondern ein Stadtteil vom anderen. Und schließlich blickte man von einem Aussichtspunkt im Garten der Villa Waldberta über die Dächer jener fiktiven Stadt, die von Invasoren und Besatzungsmächten heimgesucht wurde und ihr Gesicht im Laufe der Jahrhunderte immer wieder veränderte. Dieser verwundeten Stadt, die immer noch auf Frieden wartet.

Vermutlich wissen diese jungen Künstler, die für kurze Zeit an den Starnberger See gekommen sind, wenig über die düstere Geschichte Feldafings und insbesondere seines Villenviertels in der NS-Zeit und über die Schicksale, die es danach als Zufluchtsort von Displaced Persons erlebt hat. Dennoch gelingt es ihnen mit ihrer Audio-Performance, bei der sie als Akteure ganz im Hintergrund bleiben, eine leise Melancholie über diesen ebenfalls zutiefst verwundeten Ort zu legen. Das liegt zum einen an den zunächst im Plauderton des Reiseleiters gehaltenen und dann immer eindringlicher werdenden Texten, nicht zuletzt aber an den subtilen Klängen, die sich zwischen sphärischem Schweben und schmerzhaftem Hämmern bewegen.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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