Kultur:Geistreiche Plauderstunde

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Lässiger Erzähler: Alex Capus fand in der Starnberger Buchhandlung Rupprecht eine durchweg begeisterte - und zu 95 Prozent weibliche - Zuhörerschaft. (Foto: Franz X. Fuchs)

Alex Capus' Präsentation von "Königskinder" ist viel mehr als nur eine Lesung

Von Armin Greune, Starnberg

Für jemanden, der das vorgestellte Buch schon gut kennt, hält eine Autorenlesung oft wenig Neues bereit. Wird aber Alex Capus erwartet, darf sich das Publikum auf eine geistreiche und höchst amüsante Plauderstunde voller Überraschungen freuen. Anstatt sich auf die reine Rezitation zu beschränken, wolle er lieber mehr frei erzählen und dies mit einigen Exzerpten aus "Königskinder" illustrieren, sagte der Autor auch zu Beginn des Auftritts am Donnerstagabend in der Buchhandlung Rupprecht. Schon weil der kurze Roman eine Erzählung übers Erzählen sei, wäre eine klassische Lesung "eine Babuschka zuviel".

So erhielten die Zuhörer nicht nur einen Einblick in das Geschehen von Capus' neuem Buch, sondern auch Hintergrundinformationen zu dessen Entstehung. Er habe darin die Biografie eines Schweizer Almhirten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verarbeitet und gründlich recherchiert: "Ich kann alles beweisen", versicherte der Autor mehrfach - wobei manchmal der Verdacht aufkam, dass er dies augenzwinkernd tat. An der wahren Geschichte des Jakob Boschung aber ließ er keinen Zweifel zu: Auf den "alpinen Tarzan" und Leitkuhflüsterer sei Capus über das Volkslied "Pauvre Jacques" gestoßen, das ihn zu Nachforschungen in Kirchenbüchern und im Staatsarchiv Fribourg verleitete. Auch Jakobs Liebe, die Bauerstochter Marie, habe nachweislich existiert. Die beiden finden erst dauerhaft zueinander, nachdem "sie acht Jahre lang ohne jede Nachricht voneinander nur aneinander denken konnten". Diese Handlung - die in einer "sklerotischen Epoche" auf dem Jaunpass im Greyerzerland beginnt und über einen Militärposten am Ärmelkanal bis an den Hof von Versailles kurz vor der Revolution führt - hat der Autor kunstvoll in einen Rahmen gespannt, der in der Gegenwart spielt. Da gerät ein seit 26 Jahren verheiratetes Ehepaar am Jaunpass in einen Schneesturm und muss eine Nacht ohne Handyempfang im Auto verbringen - worauf Max Tina eben die Novelle von Jakob und Marie erzählt.

Er habe lange überlegt, dafür den richtigen Tonfall zu finden, sagt Capus: "Das geht nicht mit Nachdenken, sondern nur mit Empfinden, man muss geduldig auf die Eingebung warten." Der Erfolg gibt ihm recht: Die schlagfertigen Dialoge des zeitgenössischen Paares, das sich zwar in den großen Dingen des Lebens einig ist, aber ständig über jede Petitesse zanken kann, sind von hinreißender Komik. Ständig stellt Tina das Geschilderte in Frage und zieht Max in nickelige Dispute.

"Es wundert Sie vielleicht nicht, dass ich so eine Frau zuhause habe", verrät Capus. Wer mit ihr zum sonntäglichen Tatort gemütlich auf dem Sofa fläzen will, habe Pech gehabt: Nadja Capus, Professorin für Kriminologie, könne den Dingen nicht ihren Lauf lassen und verlange permanent Änderungen am Drehbuch. Spätestens mit diesem Einblick in sein Privatleben hat der 57-jährige Autor das glucksende und kichernde Publikum in den vollbesetzten Reihen endgültig ganz auf seiner Seite. Überhaupt sind die Exkurse, mit denen Capus seinen Vortrag auflockert, von geradezu kabarettistischem Witz und Tiefgang. Etwa, wenn er vom unverwüstlichen Schweizer Archivwesen spricht, das alle Bürger seit dem Mittelalter lückenlos erfasst hat und nun in einem Stollen im Gotthardgranit atombombensicher untergebracht werden soll, damit auch nach der Apokalypse klar ist, "wer wann rentenberechtigt ist". Oder wenn Capus erklärt, dass der barocke Reichtum Schweizer Städtchen "mit Blutgeld erkauft ist", weil jahrhundertelang überzählige Burschen als Söldner ins Ausland verkauft wurden. Oder auf die Parallelen von der Epoche der Aufklärung zur Gegenwart hinweist, wenn trotz stabiler Verhältnisse bevorstehende, tief greifende Umwälzungen bereits spürbar sind.

Mit der ersten Lesung in ihrem 40. Buchladen wollte Inhaberin Maria Rupprecht "kein Risiko eingehen". Tatsächlich ließ Capus beim beglückten Publikum den dringenden Wunsch zurück, dass sein Besuch in Starnberg kein einmaliges Ereignis bleibt.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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