Kultur:Ein-Mann-Performance

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Tolles Solo im Gautinger Bosco: Nico Holonics als Oskar Matzerath in der Theaterfassung der "Blechtrommel". Die Inszenierung stammt von Oliver Reese. (Foto: Georgine Treybal)

Nico Holonics vom Schauspiel Frankfurt verausgabt sich in seinem Auftritt in der Bühnenfassung der "Blechtrommel" als Oskar Matzerath völlig. Regisseur Oliver Reese beweist, dass die Theaterversion des Romans funktioniert

Von Blanche Mamer, Gauting

Die ersten fünf Minuten sind befremdlich, denn dieser Oskar Matzerath ist eindeutig zu groß. Der Zuschauer hat da noch das Filmkind David Bennent im Kopf, den kleinwüchsigen Oskar aus Volker Schlöndorffs Blechtrommel-Verfilmung. Doch schon bald beherrscht Nico Holonics vom Schauspiel Frankfurt als wilder ungezähmter Knirps die Bühne und auch das Publikum. Unglaublich und doch wahr, dass so ein vielschichtiger Roman wie "Die Blechtrommel" von Günter Grass von nur einem Menschen dargestellt wird. Und dabei so faszinierend echt ist.

Als einziges Requisit steht am Donnerstag ein übergroßer Stuhl auf der Bühne des Gautinger Bosco, wodurch die richtige Relation zu der Figur entsteht. Oskar hampelt und springt hin und her, nestelt an seiner knielangen, hoch gezogenen Hosenträger-Hose, schneidet Grimassen, kneift die himmelblauen Augen zusammen und überlegt laut, womit er seine Erzählung beginnen soll. Getreu nach Grass fängt er an mit der kaschubischen Großmutter Anna Bronski auf dem Kartoffelacker und ihren vier Röcken. Dort versteckt sich der Brandstifter Joseph Koljaiczek und entkommt so den Gendarmen. Neun Monate später bringt Anna eine Tochter zur Welt, die sie Agnes nennt. Später verliebt sich Agnes in ihren Cousin Jan Bronski, dessen blaue Augen es ihr antun, heiratet jedoch den Rheinländer Alfred Matzerath, ohne das Verhältnis mit Bronski zu beenden. Dem entstammt das Kind, Oskar, mit den ebenfalls sehr blau blitzenden Augen, das indes absolut nicht blauäugig ist, sondern sehr wach und altklug und seine Umwelt schnell durchschaut.

Die Geschichte ist hinlänglich bekannt, Regisseur Oliver Reese hat sie zusammengefasst und komprimiert und als Ein-Mann-Performance inszeniert. Holonics spielt diesen frühreifen Buben, der an seinem dritten Geburtstag nicht nur die versprochene Trommel bekommt, sondern auch beschließt, nicht mehr zu wachsen, als genialen Beobachter, als lieben Bubi und geifernden Psychopathen, der den Kopf voll hat mit irrsinnigen Ideen und verqueren Aktionen. Man glaubt ihm sofort, dass er einen Grund für sein Kleinsein braucht, will er doch nicht für einen Deppen gehalten werden. Als Matzerath vergisst, die Falltür zum Keller zu schließen, ergreift der Dreijährige die Gelegenheit und stürzt sich die Kellertreppe hinunter. Das gibt Oskar Macht. Yuhu, Matzerath ist Schuld! Immer wieder schaut Holowitz Zuschauer direkt an, richtet sich an sie oder ihn, wechselt von der Ich-Form zum Er, Oskar. Der trommelt tagaus tagein, auch wird ihm klar, dass er Glas zersingen kann. Dafür reißt Holonics den Mund sehr weit auf und gibt einen eher gedämpften Ton von sich. Doch verrückterweise glaubt der Zuschauer, der Gnom auf der Bühne schreie laut und schrill. Hat Oskar anfangs noch einen akkurat gezogenen Scheitel, so rauft er sich nach der Pause immer öfters die Haare, wälzt sich auf dem mit Erde bedeckten Boden und scheint nicht mehr glücklich mit sich, seinem Kleinsein und seiner Boshaftigkeit. Zudem zieht eine neue Zeit auf, die Trommeln des Faschismus stören den Rhythmus der eigenen Blechtrommel, die Pogromnacht übertrifft bei weitem alle bösen Gedanken von Oskar, der sich die Finger knetet, spuckt und wütet. Trotz der zahlreichen Kürzungen hat Regisseur Reese die wichtigsten Erinnerungen an Grass' Roman erhalten: Wie die total eklige Sache mit dem Pferdekopf und den Aalen, genial - oder das Brausepulver im Bauchnabel von Marie, Matzeraths Dienstmagd und neue Frau, und Oskars Geliebte. Am Ende der Vorstellung sind die Zuschauer fast genau so erschöpft wie der Star auf der Bühne.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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