Kultur:Der Kaffeehaus-Erzähler

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"Ich erzähle nicht das Buch von A bis Z. "Nur bis W. Und dann noch den letzten Strich vom Z": Rafik Schami bei seinem Auftritt in Starnberg. (Foto: Nila Thiel)

Romancier Rafik Schami bringt das Kunststück fertig, bei seiner Lesung in Starnberg keine einzige Zeile aus seinem neuen Roman zu lesen - und seine Zuhörer trotzdem zu fesseln

Von Katja Sebald, Starnberg

Die gute Nachricht zuerst: Es gibt noch Menschen, die sich für Literatur interessieren, und es gibt sie auch in Starnberg. Mehr als 150 Literaturbegeisterte hatten sich am Donnerstagabend in der Buchhandlung Rupprecht versammelt, um Rafik Schami zu hören. Die schlechte Nachricht: Eine Lesung aus seinem neuen Roman "Die geheime Mission des Kardinals" erlebten die Besucher nicht. Ob aber diese schlechte Nachricht nicht eigentlich auch eine gute Nachricht ist, das ist vielleicht nur eine Geschmacksfrage.

Viele deutsche Leser haben die große Tradition der arabischen Kaffeehaus-Erzähler in den Büchern von Rafik Schami kennengelernt. Der Schriftsteller, 1946 in Damaskus geboren und seit 1971 in Deutschland lebend, bringt ihnen seit Jahrzehnten die Kultur seines Heimatlandes nahe. Dass er bei seinen Lesungen - mit dem aktuellen Roman tritt er bis April an 110 Abenden auf - keine einzige Zeile liest, sondern selbst wie ein Kaffeehauserzähler sein Publikum immer tiefer in ein kunstvoll verschachteltes Labyrinth aus Geschichten führt, dürfte trotzdem für die meisten eine Überraschung und für manche auch eine Enttäuschung gewesen sein: "Ich dachte, der hört überhaupt nicht mehr auf", sagte eine Dame beim Hinausgehen. Und ihre Begleiterin antwortete: "Dieses Buch werde ich ganz bestimmt nicht lesen."

"Die geheime Mission des Kardinals" ist für Rafik Schami sein Debüt als Krimiautor. Aber schon das ist eine Geschichte in der Geschichte, denn eigentlich wollte er ein Buch über Glaube und Aberglaube schreiben, erklärt er. Der Krimi-Plot sei nur die Lokomotive, die eigentliche Erzählung spiele sich rechts und links davon ab. Das Buch spielt im Syrien des Jahres 2010, vor den schrecklichen Verwerfungen und Verwüstungen des Krieges. Am Kücheneingang der italienischen Botschaft wird ein Fass mit Olivenöl angeliefert. Darin findet sich die Leiche eines römischen Kardinals. Nebenbei erfahren wir, dass Syrien zu den wichtigsten Olivenölproduzenten der Welt gehörte. Wir lernen den ermittelnden Kommissar Barudi kennen und mit ihm gleich die ganze Tragik seines Lebens: "Wissen Sie, meine Damen und Herren, in Syrien darf ein Kommissar nicht den falschen Leuten die falschen Fragen stellen, sonst verschwindet er spurlos."

Der kluge Barudi aber macht den richtigen Leuten die richtigen Vorschläge, deshalb wird ihm Mancini, ein Kollege aus Rom, an die Seite gestellt. Und weil das Ganze ein Roman von Rafik Schami ist, wird er sein Freund. Gemeinsam versuchen sie herauszufinden, auf welcher geheimen Mission der Kardinal in Syrien war und warum er beseitigt, ja hingerichtet wurde. Im Zuge ihrer Ermittlungen fallen die beiden Kommissare in die Hände bewaffneter Islamisten. Der Klappentext des Buches endet, wie es sich für einen Klappentext gehört, an dieser Stelle. Rafik Schami, der "Kaffeehauserzähler", endet noch lange nicht. "Keine Angst, meine Damen und Herren, ich erzähle nicht das Buch von A bis Z", sagt er: "Nur bis W. Und dann noch den letzten Strich vom Z." Er verspricht einen "Spaziergang durch meinen Roman", und es wird ein weit ausschweifender, manchmal auch verschlungener Spaziergang. Rafik Schami steht auf der Bühne und spricht frei, nicht einmal einen Zettel mit Notizen hat er dabei. "Soll ich das noch erzählen?", fragt er zwischendurch, oder "Möchten Sie das wirklich wissen?" Manchmal auch: "Ach, das habe ich vergessen zu erzählen. . ."

Keine Frage, was er da macht, ist wunderbar. Man fühlt sich in Kinderzeiten zurückversetzt, als Großmütter an Küchentischen und Großväter auf Ofenbänken sitzend von längst vergangenen Ereignissen berichteten oder einfach Geschichten erzählten, die sie erst während des Erzählens erfunden hatten. Keine Frage, wer nach diesem Abend ein Buch von Rafik Schami lesen wird, der wird immer seine Geschichtenerzählerstimme mit dem immer noch deutlich hörbaren Akzent und den Grammatikfehlerchen im Ohr haben. Aber er wird auch unerbittlich daran erinnert werden, wie weit die kunstvoll-leise und bildhafte Sprache seiner Bücher davon entfernt ist. Aber wie gesagt, das ist vielleicht nur eine Geschmacksfrage.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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