Krailling/Martinsried:Zurück ins Leben gekämpft

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52-Jähriger erleidet einen Schlaganfall und liegt sieben Tage in seiner Wohnung, bevor er gefunden wird

Von Blanche Mamer, Krailling/Martinsried

Reinhold Walde (Name geändert) ist 52 Jahre alt, könnte aber auch als Mittvierziger durchgehen. Er hat wache Augen und erzählt lebhaft. Dabei ist es ein kleines Wunder, dass er noch lebt. Und erst recht, dass er wieder gehen, greifen, denken und sprechen kann. Vor sieben Jahren, am 5. Februar 2010, erlitt er einen Schlaganfall und lag sieben Tage und sechs Nächte in seiner Wohnung, bevor die Nachbarn reagierten und nachschauten, warum sich der gesellige Junggeselle nicht meldete.

Was passiert ist, hat er mittlerweile rekonstruiert. Am Abend zuvor, nach einem Kindergeburtstag, wo er als Trommler aufgetreten war, hatte er Migräne, erzählt er. Er fühlte sich nicht wohl, fuhr von Gauting durchs Würmtal nach Hause und dachte, dass er die Kopfschmerzen wegschlafen könne, so wie er es bis dahin immer getan hatte. Sein Auto, ein großer Allradtransporter, stellte er aber so verquer ab, dass sich ein Anwohner aus dem Nebenhaus wunderte und sich wohl vergeblich mehrfach nach ihm erkundigte.

Irgendwann ist Walde auf dem kalten Fußboden zu sich gekommen, konnte sich nicht bewegen und hatte keinen Schimmer, was passiert war. "Ich war immer wieder bei Bewusstsein und versuchte, mich bemerkbar zu machen, ich wusste nicht, wie lange ich schon lag. Mir war schrecklich kalt und ich hatte großen Durst. Mein Handy konnte ich nicht erreichen, ich schaffte es jedoch, ein paar Kleinmöbel umzuwerfen, damit es schepperte. Ich habe versucht zu rufen, doch der Nachbar unter mir dachte, ich mache Party. Mein Stöhnen hörte er zwar ebenfalls, meinte aber, ich würde wohl Filme für Männer anschauen." Das macht ihn heute noch wütend. Dass sich niemand im Haus ernsthaft Gedanken machte, als er sich nicht meldete, obwohl er selbst doch immer allen geholfen hat. "Wenn es etwas zu schleppen gab, hieß es immer, frag den Reinhold."

Walde war durchtrainiert. Er hatte 20 Jahre als Survival-Trainer in Österreich gearbeitet, hat jahrelang verschiedene asiatische Kampfkünste praktiziert und regelmäßig Trommelworkshops gegeben. "Ich wusste, dass ich unbedingt trinken musste. Und ich habe es geschafft, ins Badezimmer zu robben und in die Badewanne zu gelangen." Wie? Das weiß er nicht mehr. Sein Lehrer hatte ihm beigebracht, wie eine Raupe zu kriechen, was er damals ziemlich doof fand, was sich nun aber als lebenswichtig herausstellte. In einem lichten Moment gelang es ihm, den Wasserhahn aufzudrehen und zu trinken. Und weil er so fror, dachte er an ein heißes Bad, doch schon nach kurzer Zeit war das Warmwasser alle. "Ich hab' noch gedacht, jetzt ersaufe ich in meiner kalten Badewanne. Dann war wieder alles schwarz. Ich glaube, ich hatte aufgegeben. Doch ich bin wieder zu mir gekommen und habe die Nachbarn im Hausgang gehört, der ans Badezimmer grenzt. Eine der älteren Hausbewohnerinnen, eine Frau aus Marokko, der ich oft geholfen habe, hat mein Jammern und Stöhnen endlich richtig gedeutet." Es war der siebte Abend und wäre wohl der letzte gewesen. Kaum im Rettungswagen, fiel Walde ins Koma. Die Ärzte gaben ihn auf, seiner Schwester haben sie mitgeteilt, falls er überlebe, werde er wahrscheinlich ein Pflegefall bleiben.

Doch sie hatten nicht mit dem Überlebenswillen und der Sturheit ihres Patienten gerechnet. Er musste alles wieder lernen. Heute kann er wieder gehen, auch wenn er schnell müde wird und nicht lange auf den Beinen bleiben kann. Beim Sprechen muss er zwar ab und zu nach dem richtigen Wort suchen und mit Messer und Gabel essen, geht auch noch nicht richtig. Doch selbstständig zu duschen und zur Toilette zu gehen, sind große Erfolge. Was Walde am meisten bedauert, ist, dass er so abhängig ist und dass er nicht mehr trommeln kann. Seine 50 Trommeln werden durch das Lagern nicht besser und so überlegt er, sie einer Sozialeinrichtung oder einem Jugendhaus zu spenden.

Hilfe bekommt er von Friederike Hopfmüller von der Würmtal-Insel und von Elfi Kalkühler vom Förderverein Martinsrieder Christkindlmarkt. Sie haben sich an den SZ-Adventskalender gewandt, weil sie finden, dass Walde ein Auto braucht, um die immer noch notwendigen Therapien zu erreichen. Nach Extrafahrstunden hat er wieder eine Fahrerlaubnis. "Er muss regelmäßig zum Schwimmtraining ins Westbad", sagt Kalkühler. Mit einem Pkw wäre unabhängiger und flexibler für die Termine beim Physiotherapeuten und Bewegungstrainer oder der Selbsthilfegruppe. Und er könnte die Angebote des Mittagstischs nutzen. Ein Sponsor ist bereits gefunden, doch für ein Auto reicht die Finanzierung nicht.

© SZ vom 28.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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