Konzert:Klangfarbige Musizierlust

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Spielfreudig: die Künstler des Ensembles Ma'alot im Bosco. (Foto: Nila Thiel)

Ma'alot-Quintett tritt im Gautinger Bosco auf

Von Reinhard Palmer, Gautng

Zweifelsohne: Bläser können lustvoller, kraftvoller musizieren. Mag sein, dass die Musik eines Bläserquintetts, das im Bosco mit dem Ma'alot Quintett prominent vertreten war, mit Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und dem einzigen Blechbläser-Horn nicht gar so seelentief zu berühren vermag wie ein Streicherensemble. Dafür hat diese Besetzung andere Qualitäten. In erster Linie die schier überbordende Fülle an Spiellust weckenden Klangvarianten. Das dürfte auch der zentrale Aspekt gewesen sein, der die Komponisten der École de Paris - das Thema des Programms in Gauting - zu Beginn des 20. Jahrhunderts besonders interessiert haben mag. In Paris war dem Bildner der Gattung, Anton (Antonin) Reicha, mit den Bläserquintetten ein echter Coup gelungen. 1811 komponiert, ist sein op. 88/2 in Es-Dur ein hinreißend vergnügtes Werk, in dem das Ma'alot Quintett in Sachen Spielfreude und Musizierlust aus dem Vollen schöpfen konnte. Das machte Laune. Kein Wunder, dass die 24 Bläserquintette des Komponisten Paris in Euphorie versetzten, zumal Reicha eingängige Themen zu erfinden verstand. Da waren Ohrwürmer dabei, die das Ensemble präzis, aber auch genüsslich ausspielte.

Stilistisch sind diese Reicha-Werke der Wiener Klassik verpflichtet, was letztendlich deutlich macht, dass in Paris trotz der bewussten Abwendung von der deutschsprachigen Übermacht nichts gänzlich Neues erfunden wurde, sondern das damals Gängige mit Elementen französischer Tradition eine Weiterentwicklung fand. Ravels "Le Tombeau de Couperin", eine Suite, deren Sätze den im Ersten Weltkrieg gefallenen Kameraden des Komponisten gewidmet sind, ist allerdings vom Vorbild Reichas entfernt, was das Ma'alot Quintett mit impressionistischen Klangmalereien im farbüppigen Changieren deutlich machte. 1914-17 komponiert, ist das Grab des Barockmeisters Couperin jedoch keinesfalls von Trauer erfüllt. Die einzelnen Sätze wirken wie ferne Visionen der Facetten seiner barock sinnenhaften Musik, die sich immer wieder thematisch konkretisierten. Allerdings niemals bis zu der Klarheit, wie sie André Jolivet erreichte. In seiner konzertanten Sérénade mit solistisch eingesetzter Oboe von 1945 sind schon Einflüsse der Moderne deutlich spürbar. Jolivet hatte den Mut zu erzählerischen Linien, die das Ensemble fesselnd auszusprechen vermochte. Der Franzose fühlte sich jedenfalls einer deutlich schärferen Gangart verpflichtet. Das Quintett nutzte die Gunst der Stunde, Jolivets freitonale Musik viel Kraft zu entlocken und schrillere Klänge ins Spiel zu bringen.

Astor Piazzolla kann man der École de Paris zuordnen, auch wenn er seine "Histoire du Tango" wohl aus den frühen 1980er Jahren bereits auf eine andere Basis stellte. Als Schüler von Nadia Boulanger dürfte der Argentinier aus Buenos Aires an deren Boulangerien teilgenommen haben, wo brandneue Ideen ausgetauscht wurden. Nicht zu vergessen seine Vorbilder Strawinsky und Bartók sowie auch der Jazz. Als die vier Stationen der Tango-Geschichte entstanden, hatte Piazzolla längst seinen eigenen Stil, den Tango Nuevo, kompositorisch auf ein höchst anspruchsvolles Niveau gehievt. Auch wenn das Arrangement vom Klarinettisten des Ensembles Ulf-Guido Schäfer gewiss dieser Qualität gerecht wurde, tat sich das Klangbild des Bläserquintetts mit dem Tango schon etwas schwer. Die schmachtende Leidenschaft ist damit schwer umzusetzen. Der Schlusssatz "Concert d'aujourd'hui", schon gänzlich Piazzollas Tango, vertrug die Besetzung hinsichtlich der Schärfe Neuer Musik schon eher. Der "Sommer" aus "Estaciones Porteñas" in der Zugabe profitierte indes von ihr in bildhaft-programmatischer Hinsicht.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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