Konzert:Enormes Pensum

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Souverän: Der aus Krailling stammende Pianist Benjamin Moser bei seinem Konzert in Schloss Seefeld. (Foto: Georgine Treybal)

Pianist Benjamin Moser bewältigt in Seefeld ein großes Programm und überzeugt mit Ausdruck

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Das Spektakuläre liegt ihm nicht. Zumindest nicht in Bezug auf seine Person und Karriere. Aber der Pianist Benjamin Moser geht dennoch seinen Weg: langsam, solide und Schritt für Schritt aufwärts. Kein leichter Weg, ist doch der Konzertbetrieb heutzutage eher auf öffentliche Präsenz bedacht.

Im Sudhaus des Seefelder Schlosses bewies Moser aber, dass es auch anders geht. Vor allem mit der über die spieltechnische Perfektion hinausgehenden Intensität des Ausdrucks, die schon gewaltig Eindruck machen konnte. Im Fokus stand Mussorgskys populärer Zyklus "Bilder einer Ausstellung", in dem Moser einerseits seine tiefe Verinnerlichung der russischen Rhetorik, andererseits seine reiche erzählerische Differenzierung eindrucksvoll demonstrierte. Schon alleine die "Promenade", die immer wieder zwischen den Bildern zu hören ist, war ein Lehrbeispiel für Mosers Herangehensweise: Seine Phrasierung gab kein beiläufiges Schlendern durch eine Ausstellung wieder, sondern ein von Neugier geleitetes Abschreiten. Moser ging gleichsam zwischen Bildern umher, die unterschiedlich viel Aufmerksamkeit wecken, um dann bei einem besonderen Bild zu verharren, in dessen Bann er sogleich versank.

Geheimnisvoll mysteriös erschien "Der Gnom", legendenhaft-mythisch beging Moser "Das alte Schloss". Die humorvoll lieblichen "Tuilerien" standen im gewaltigen Kontrast zu "Bydlo", das in donnernder Schwere stapfte. Das spritzige "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" geriet zum einzigen filigranen Herumwuseln. "Samuel Goldberg und Schmuyle" dialogisierten miteinander im Kontrast zwischen dunkler Erhabenheit und hell klingendem Tremolo. Und was Moser unter "Der Marktplatz von Limoges" verstand, war ein Ort von überbordender Vitalität und erregt vergnügtem Treiben.

Ganz anders "Die Katakomben" in düsterer Schwere. Der mysteriös-magische Impetus begleitete den Zyklus von Anfang an, sollte aber in "Die Hütte der Baba Yaga" im wilden Hexentreiben einen orchestralen Höhepunkt erleben. Das große Feuerwerk folge mit "Das große Tor von Kiew". Moser zog nun alle Register, begann in feierlicher Breite, um dann allmählich ein imposantes Monument aufzurichten. Mehr Substanz und Klangfülle war aus dem Flügel wohl kaum herauszuholen.

Er habe wohl noch nie ein Konzert mit so vielen Noten gegeben, bestätigte Moser abschließend angesichts des Programmumfangs. In Anbetracht der kräftezehrenden Interpretationen war das schon eine enorme Leistung, zumal die erste Konzerthälfte mit ausgesprochen virtuosen Stücken begonnen hatte. Drei bluesige bis swingende Prélude von Gershwin standen den imposanten Prélude op. 32 (Auswahl von vier) von Rachmaninoff gegenüber. Während Gershwins Stücke im klassischen Sinne bescheidene Möglichkeiten der Differenzierung boten, zielten Rachmaninoffs Prélude auf ein breites Ausdrucksspektrum ab. Bis hin zu einem spannungsgeladenen Marsch, kontrastiert von melodiöser Leidenschaft, ähnlich einem Scherzo mit lyrischem Trio.

Doch Moser ließ es nicht dabei bewenden und schickte den Werken der beiden Komponisten virtuose Auslegungen nach. Sie stammen aus der Feder von Earl Wild (1915 bis 2010), der als Pianist wohl für seinen Eigengebrauch viele Werke transkribierte, um mit dick aufgetragener Virtuosität beeindrucken zu können. Moser nutzte die Chance und überzeugte mit effizienter Spieltechnik, vor allem aber mit analytisch grundierter, gestalterischer Klarheit.

Die drei Stücke aus "7 virtuoso Etudes on Gershwin Songs" geben Interpreten in erster Linie die Möglichkeit, in die geschmeidig fließende Virtuosität einen hoch melodischen Gesang einzubinden. Die "Vier Transkriptionen von Rachmaninow-Liedern" boten indes weit mehr Nährboden für Differenzierung. Charakteristika wie Sentimentalität, vibrierende Texturen, fließende Melodik oder orchestrale Größe blieben bei Wild allerdings stets US-amerikanisch oberflächlich, ohne das seelentiefe Eintauchen in anspruchsvolles Sinnieren, wie es bei Rachmaninow selbst der Fall war. Benjamin Moser hatte nach Ovationen immer noch Kraft genug, zwei mit Feinsinnigkeit berührende Zugaben zu spielen - von Schumann und Debussy.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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