Konzert:Der Bergkönig und der Pop

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Mit allen Wassern gewaschen: das Rastrelli Cello Quartett beim Auftritt in Seefeld. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Von Edvard Grieg zu den "Beatles": Das Rastrelli Cello Quartett führt in Seefeld die ganze Bandbreite seines Repertoires vor

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Wer schon einmal das Kontrabassquartett Bassiona Amorosa gehört hat, den überraschten die Möglichkeiten des Rastrelli Cello Quartetts wohl nicht mehr so sehr, auch wenn es vom Klang her noch reichhaltiger zu gestalten vermag. Vielleicht kamen gerade wegen dieser Besonderheit so viele Zuhörer ins Sudhaus des Seefelder Schlosses, zumal Auftritte solcher Besetzungen oft auch eine performative Komponente mit sich bringen. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Akustik, die der gastgebende Verein Kultur im Schloss Seefeld in Angriff genommen hat, zahlten sich auch in diesem Fall aus, gingen doch die drei Russen aus St. Petersburg - Kira Kraftzoff (auch Moderation), Mischa (Mikhail) Degtjareff (auch Komposition) und Kirill Timofeev sowie der Weißrusse Sergio Drabkin (auch Arrangements) - das Programm mit reicher Dynamik an.

Puristen der klassischen Musik sehen Besetzungen, die von den großen Komponisten mit so gut wie keiner Literatur bedacht wurden, eher kritisch. Aber letztendlich kommt es auch immer auf die Qualität der Ausführung an. Mit diesem Aspekt vermag sich das 2002 gegründete Ensemble durchaus unter den Top-Events der Klassik zu behaupten. Es ist nach dem Architekten Bartolomeo Francesco Rastrelli (1700 bis 1771) benannt, der das Gesicht St. Petersburgs maßgeblich geprägt hat. Gerade der Gründer und Primarius des Ensembles, Kira Kraftzoff, hat eine künstlerische Vita vorzuweisen, die sich fast schon wie ein Who-is-who der Klassikelite liest. Aber auch seine drei Mitspieler bringen einen reichen Erfahrungsschatz als Solisten, Orchester- und Kammermusiker mit, was das Quartett zu einer ungewöhnlichen Bandbreite im Repertoire befähigt. Die engen Gattungsgrenzen zu sprengen, gehört ebenfalls zum Vorsatz der vier Musiker, die keine Berührungsängste mit Pop, Rock, Jazz, Klezmer oder Tango haben. Das alles ist mit Celli auch sehr gut realisierbar, verfügen die Instrumente doch je nach Höhenlage über verschiedene Klangregister, die bis zur menschlichen Stimme oder rockigen E-Gitarre reichen. Diese Qualitäten sollte das Publikum vor allem in der zweiten Konzerthälfte erfahren, als sich das Quartett mit einem Medley durchs Beatles-Repertoire spielte. Mit Songs, die die vier Musiker mit ihrer üppigen Harmonik anspruchsvoll beschäftigen konnten. Den größten Spaß hatten sie aber offenbar in bluesigen Rocknummern, die eine härtere Gangart forderten und mit Bogendruck auf die Saiten zum Metal tendierten.

Dass die osteuropäischen Musiker auch großartige Musikanten sind, davon profitierten beide Konzerthälften. Auch mal mit Schwung, ja mit Wucht zuzupacken und stampfend-derbe Töne zu schmettern, kann sehr wirkungsvolle Kontraste aufbauen und das Ausdrucksspektrum erweitern. Durchaus eben auch in der Ernsten Musik. So brillierte das Quartett in der ersten Konzerthälfte mit Stücken, die sorgsam ausgewählt wurden, um die Qualitäten der ungewöhnlichen Besetzung optimal in Szene zu setzen. Ausgesprochen musikantisch konnte das Ensemble vor allem in den russischen Volksliedern aufspielen. Diese Folklore ist sehr emotional und frei zu gestalten, was das Quartett aus dem Bauchgefühl heraus in perfekter Homogenität umzusetzen vermochte. Das galt auch für die Ungarischen Tänzen Nr. 10, 14 und 17 von Brahms, die geradezu darauf angelegt sind, mit Leidenschaft eine enorme Breite an musikalischen Charakteren zu durchwandern. Brahms' dunkle Masse hätte nicht düsterer ausfallen können, aber auch die blühende Luftigkeit eines Dorftanzes (Nr. 10) nicht heiterer.

So locker hatte das Ensemble das Konzert auch eröffnet: Die Tarantella op. 33 des Böhmen David Popper (im Original für Violoncello und Klavier) erklang in spielfreudiger Unbeschwertheit, mit einem nostalgisch ausgesungenen Mittelteil.

Die Gesangsqualitäten des Instruments verzauberten immer wieder mit betörender Schönheit. So im ukrainisch-folkloristischen Andante Cantabile aus dem Streichquartett Nr. 1 op. 11 von Tschaikowski, das mit der Empfindsamkeit des Cellos geradezu in himmlische Sphären entführte. Besondere Eignung für die reine Cellobesetzung brachten "Solveigs Lied" und "In der Halle des Bergkönigs" aus "Peer Gynt" von Grieg. Das weite Ausdrucksspektrum in bisweilen elegisch-legendenhafter Spielweise machte es möglich, einen fesselnden dramaturgischen Verlauf zu entwickeln, den das Rastrelli Cello Quartett mit reichlich Atmosphäre zu füllen vermochte. Das hatte weit mehr Tiefe als Harry-Potter- und Beatles-Musik. Das Publikum begeisterte sich für beides.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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