Kleinkunst in der Klinik:Herz und Terz

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Für alles zuständig, was Farbe ins Krankenhaus bringt: der Sozialpädagoge Günter Leibig. (Foto: Arlet Ulfers)

Das Klinikum leistet sich seit 17 Jahren eine deutschlandweit wohl einmalige Musik- und Lesungsreihe. Günter Leibig macht es möglich

Von Gerhard Summer, Starnberg

Wer geht schon gern ins Krankenhaus? Vielleicht ein Hypochonder, ein eingebildeter Kranker. Aber in aller Regel kommen die Leute, weil es sein muss, der Arzt sie geschickt oder der Notarztwagen sie gebracht hat, oder weil sie mit sorgenvollem Gesicht am Bett von Verwandten und Freunden vorbeischauen wollen. In Starnberg ist das anders, zumindest an ein, zwei Tagen in der Woche. Dann treten gutgelaunte Besucher durch die Drehpforte, die auf Flamenco aus sind oder auf Polkas. Und Patienten machen sich auf, die sich zur Abwechslung nicht durchleuchten, sondern verzaubern lassen wollen.

In diesem Akutkrankenhaus liegen Schmerz und Scherz, Herz und Terz nämlich erstaunlich nahe beieinander. Wer das Foyer durchmisst und die paar Stufen runter zur Kapelle geht, landet in einer Art klinischen Kleinkunstbühne. Und in diesem rezeptfreiem Reich des Sozialpädagogen Günter Leibig herrschen nicht die Regeln der Anästhesie, sondern die der aufputschenden Ästhetik. Was in diesem Fall bedeutet: Mal spielen Liedermacher Folk und Blues, mal steht eine Tucholsky-Lesung oder Zauberei an. Mal kommen exzellente Musiker wie Oliver Thedieck, das Duo DomraPiano, die Münchner Saitentratzer oder der Panflötist Roman Kozak. Mal gibt es auch nur Dias von griechischen Inseln. Aber mindestens einmal die Woche ist was geboten im Untergeschoss. Deutschlandweit ist das einmalig, sagt der 58-jährige Leibig, dass sich ein Klinikum ein so großes Programm leistet.

Tatsächlich ist der gebürtige Pasinger, der in Krailling aufgewachsen ist, ein Angestellter des Hauses. Im Mai 1999 hatte er in Starnberg als Sozialpädagoge angefangen, damals noch in Vollzeit. Er sollte sich um die älteren Patienten kümmern, sie zusammenführen und vom eintönigen Krankenhausalltag ablenken. Gedächtnistraining und Spielgruppe waren angedacht. Schon damals war die Geschäftsleitung der Klinik aber der Ansicht: Das Haus sollte sich auch mehr öffnen und nicht nur als Ort des Schreckens präsentieren, es müsste mehr Farbe in die Flure kommen, mehr Leben im Krankenhaus einziehen. Doch dass aus sporadischen Kulturabenden eine seit 17 Jahren nicht abreißende Reihe von teilweise hochrangigen Events geworden ist, dürfte im Wesentlichen an Leibigs Umtriebigkeit liegen.

Der Mann mag eine gemütliche Figur haben, aber das heißt nicht, dass er die Dinge mit allzu großer Ruhe angeht. Leicht gehetzt blicken seine Augen unter der runden Brille hervor, er redet schnell, natürlich auch, weil gleich eine Lesung in der Kapelle beginnt. Aber der Eindruck dürfte nicht täuschen: Dieser Veranstalter steht unter Strom, und er strahlt Begeisterungsfähigkeit aus. Was die Gestaltung der Reihe betrifft, hat er mehr oder minder freie Hand. Das Programm sei "leicht gehalten, aber es finden sich auch Perlen", lautet Leibigs Selbsteinschätzung. Und es ist musiklastig, schon weil er selbst zu den Klassikfans gehört und als Jugendlicher klassische Gitarre lernte. Literarische Lesungen gehen zwar fast gar nicht, Leibig hält aber trotzdem an ihnen fest, "weil ich nicht nur die Masse bedienen will". Dass es ihm überhaupt gelingt, einen Flamencospezialisten wie Ricardo Volkert anzuheuern und nicht ganz billige Ensembles für alte Musik mit einem Gentleman-Agreement zu locken, hat mit seinen guten Kontakten und wohl auch mit seiner Überzeugungskraft zu tun. "Kultur ist mein Hobby, ich kenne mich aus in der Szene", sagt er. Und wer über Agenturen buche, sondern sich direkt bei den Künstlern melde und noch dazu einen sozialen Zweck ins Feld führen kann, habe schon mal gute Karten.

So erklärt sich auch, dass der Kulturmacher mit vergleichsweise wenig Geld über die Runden kommt. Setze man alles an, also die Spenden, die Benefizleistung der Künstler, die 10 000 Euro, die das Krankenhaus gibt, und die Gratisabende der Reihe "Yehudi Menuhin - Live Music Now", dann verfüge er über ein Budget von 25 000 Euro im Jahr, sagt er. Und damit bekommt Leibig, der auch für Ausstellungen im Haus an der Oßwaldstraße und dem mit der Klinik kooperierenden Krankenhaus Penzberg zuständig ist, 50 Veranstaltungen pro Jahr hin. Überwiegend steuern Externe die schlichte Kapelle an, das Verhältnis von Besuchern und Patienten liegt bei 70 zu 30, oft auch bei 80 zu 20. Wenn es ganz schlecht läuft, spielen ausgezeichnete Musiker vor nur 15 Leuten. Aber im Schnitt trudeln an die 40 Zuhörer oder Zuschauer ein, bei Heimat- und Mundartabenden sind es in aller Regel sogar 100. Sie alle müssen keinen Eintritt zahlen, können aber eine Spende in den Hut werfen.

Obwohl Günter Leibig vor allem die klassische Musik schätzt, hat er sich längst auch mit Vokaljazz und Flamenco angefreundet, ja sogar mit authentischer Stubnmusi, die er früher abgelehnt habe. Schon deshalb kann er mit seinem Programm gut leben: "Mir gefallen die meisten Sachen selbst ganz gut, sonst würde ich sie auch nicht machen."

Getragene Musik des italienischen Frühbarock steht am Mittwoch, 28. September, 19 Uhr, auf dem Programm der Klinik. Dong-hee Kim (Gesang), Susanne Kaiser (Barockharfe) und Christoph Eglhuber (Laute und Theorbe) interpretieren Arien, Scherzi und Ciaccone von Merula bis Peri.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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