Mit dem Abschiednehmen verhält es sich wie mit dem Älterwerden: Es ist nichts für Feiglinge. "Ich bin eine Bewahrerin", sagte dann auch Birgit Reichenbacher über sich selbst. Wer sie kennt, hätte es ohnehin geahnt, dass tief greifende Veränderungen nicht gerade ihr Ding sind. Das zeigt schon die Zeit, die die 54-Jährige in Starnberg, genauer in Söcking, Pfarrerin war: fast 17 Jahre sind da zusammengekommen. Dementsprechend groß war auch die Zahl derer, die von ihr an diesem Sonntagvormittag offiziell Abschied nahmen. Von März an übernimmt sie die Pfarrstelle in Zorneding mit 1650 Gläubigen.
Anders als in Starnberg ist sie dort die einzige evangelische Pfarrerin am Ort und für alles zuständig und alleine verantwortlich. Ein Umstand, der sie offensichtlich gereizt hat, sonst hätte sie sich nicht beworben. Starnbergs Bürgermeisterin Eva John umschrieb die neue Pfarrstelle in ihrem Grußwort mit dem Halbsatz "klein aber mein". So habe Reichenbacher es ihr gegenüber ausgedrückt, so John.
Die Starnberger Friedenskirche war am Sonntag mehr als voll. Wer einen Platz haben wollte, musste deutlich früher aufstehen. Und etliches war auch anders als sonst: Zum einen drückten sich auffallend viele Kinder und Jugendliche in die Kirchenbänke. Zum anderen brannten auf dem Alter etliche Kerzen: Mit ihnen wolle man an die drei Starnberger Mordopfer erinnern, hieß es. Unter den Festgästen waren auch auffallend viele Kollegen Reichenbachers: Allen voran Starnbergs Pfarrer Stefan Koch und ihr Berger Kollege Johannes Habdank, die ehemaligen Starnberger Pfarrer Ernst Kunas und Hans Martin Schroeder mit ihren Ehefrauen. Dazu noch der Oberammergauer Pfarrer und Senior im Dekanat, Peter Sachi, der bei den Passionsspielen mitmacht und sich daher einen Bart stehen ließ, Regionalsprecher Michael Stein aus Feldafing und der Ehemann der 54-Jährigen, Christoph Reichenbacher, der Pfarrer der Emmauskirche in München ist. Nicht zu vergessen sind auch Dekan Jörg Hammerbacher, dem die Aufgabe zukam, Reichenbacher offiziell von ihren Seelsorgepflichten in der Kreisstadt zu entbinden, und ihr katholischer Amtskollege Andreas Jall, dem es sichtlich schwer fiel, seine Kollegin ziehen zu lassen, denn die beiden kennen sich seit Jahren und haben die Ökumene gemeinsam hochgehalten. Ein Beispiel dafür ist Söcking. "Unsere Konfirmanden sind oft erstaunt, wenn sie hören, dass Sankt Stephan eine katholische Kirche ist", erzählt Reichenbacher in ihrer Predigt. Die Amtsvorgänger beider Konfessionen haben einst die evangelische Kirchennutzung sogar per Vertrag festgelegt. Dieser besagt, dass das alte Gotteshaus nur so lange von der anderen Konfession genutzt werden dürfe, so lange es in Söcking evangelische Christen gibt.
Wen wundert's, dass Reichenbacher eine ganz besondere Freude bei jeder Taufe in Sankt Stephan hatte. Aber sie nannte noch weitere Beispiele für gelebte Ökumene. Die gemeinsame Schiffssegnung des Katamarans zum Beispiel, der wenig später gegen die Ufermauer krachte. Und die Maibaumweihe mit geistlichem Beistand in Söcking. Wobei der Baum kurz darauf vom Blitz in weißblaue Holzspittern verwandelt wurde. "Als wir gebeten wurden, der neuen Volksbank in Söcking den Segen zu geben", erzählt sie, hätten beide Pfarrer in Gedenken schon die Panzerknacker am Werke gesehen.
Dass Reichenbacher in Starnberg vor allem die Kinder und Jugendlichen am Herz liegen, war deutlich zu spüren: Vieles drehte sich in den Reden um gemeinsame Erlebnisse auf Lindenbichl im Staffelsee, Konfirmandenunterricht, Mentorenarbeit, Kinderbibeltage und Familienfreizeiten. Da wurde dann auch das ein oder andere Tränchen verdrückt. Abschiednehmen ist wirklich nichts für Feiglinge.