Kinderbetreuung:Die erste Oase in der Landkreis-Wüste

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Engagierte Mütter haben vor 30 Jahren eine Kinderkrippe in Tutzing aufgebaut, die anfangs noch schief beäugt wurde. Am Freitag feiern sie das Jubiläum der Einrichtung mit 80 Gästen

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Sie erregten Aufsehen mit ihrem Bollerwagen, in dem sie sechs kleine Kinder durch Tutzing zogen, damals vor 30 Jahren. Überhaupt wurden die Initiatorinnen der "Kinderoase Tutzing", der allerersten Kinderkrippe im Landkreis Starnberg, kritisch beäugt. Braucht es so was wie eine Krippe auf dem Land? Dürfen Eltern ihre Kinder unter drei Jahren in eine Betreuungseinrichtung geben, oder ist das nicht schädlich? Heute sind diese Debatten längst ausgestanden. Jede Landkreisgemeinde verfügt über Krippenplätze, jedoch klafft zwischen Angebot und Nachfrage häufig noch eine Lücke. Nicht mal für jedes zweite Kind unter drei Jahren steht im Landkreis ein Platz zur Verfügung, was Eltern immer noch vor Probleme stellt.

In Tutzing stehen mittlerweile in sechs Kindertagesstätten Krippenplätze zur Verfügung, teils in kirchlicher Trägerschaft, teils unter der Regie des BRK oder des Waldorfvereins. Am Mittwoch hat gerade die katholische Pfarrei St. Maria im Tutzinger Ortsteil Traubing eine neue Krippe mit zwölf Plätzen in der ehemaligen VR-Bank eingeweiht. Die Kinderoase feiert ihr erfolgreiches 30-jähriges Wirken, das so viele Nachahmer gefunden hat, diesen Freitag mit 80 Gästen - darunter Gründungsmitgliedern, vielen Ehemaligen und Bürgermeisterin Marlene Greinwald - im Roncallihaus.

Die schaukeln das: Julia Seiss (rechts), Leiterin der Krippe, und ihre Stellvertreterin Corina Süß mit Krippenkindern. (Foto: Nila Thiel)

Engagierte Mütter wie Sibylle Rollinger Barbara Hess, Monika Fehringer und Gudrun Kohlert haben die Kinderoase im Herbst 1989 gegründet, unterstützt von Uschi Steiner, der Betriebsrätin des Tutzinger Pharmaunternehmens Boehringer (später Roche). Ihre Kinder waren zu der Zeit schon aus dem Haus. "Die Firma wollte damals Frauen fördern und erkannte die Notwendigkeit, dass sie qualifizierte Mütter nur gewinnen kann, wenn die Kinder gut versorgt sind", erinnert sich Sibylle Rollinger, damals Biochemikerin und als Gruppenleiterin bei Boehringer tätig. Sie selbst war nach Tutzing zugezogen, ohne eine Oma für die Betreuung ihres kleinen Sohnes zu haben. "Es gab keine Tagesmüttervermittlung, kein Netzwerk", sagt sie. Und nicht jeder konnte sich ein Aupair-Mädchen leisten. "Es ging nicht um Rabenmutter oder nicht, sondern, nachdem es kaum noch Großfamilien gab, um einen gesellschaftlicher Auftrag", sagt Rollinger, die heute als Erziehungsmediatorin arbeitet. In nur einem Jahr gelang es den Eltern, einen Verein zu gründen, in der Traubinger Straße Räume zu finden und sie weitgehend in Eigenregie auszubauen. Die Gemeinde Tutzing unterstützte die Pioniere, Boehringer übernahm das erste halbe Jahr die Miete. Vorurteile und feindselige Blicke verschwanden nach und nach. Mehrere Umzüge waren im Lauf der Jahre nötig, über die Midgardstraße 2, einem ehemaligen Seniorenstift, und die Bahnhofstraße in das heutige Domizil an der Kustermannstraße 10. In dem gemütlichen alten Haus bietet die Einrichtung Krippenplätze für zwölf Kinder zwischen zwölf Monaten und drei Jahren. Es gibt genügend Raum zum Spielen und Toben, ein Schlafzimmer mit Zwergen-Doppelstockbetten für den Mittagsschlaf, Küche und Essecke, Bad, Mehrzweck-Kellerraum und Garten mit Spielhaus und Bobbycar-Bahn. Julia Seiss, 35, leitet die Krippe seit zehn Jahren, nachdem es personelle Turbulenzen gegeben hatte. Die Erzieherin kümmert sich heute mit viel Schwung und herzlicher Zugewandtheit von 7.30 bis 17.30 Uhr mit den Kolleginnen Corina Süß, Heidrun Hanuschka, Samantha Nicholson und Rani Lorenz um 14 Buben und Mädchen. Das sind deutlich weniger als vor zehn Jahren, als 23 Kinder Aufnahme fanden. "Die Tendenz zur Vollzeitbuchung ist extrem gestiegen", beschreibt Seiss den veränderten Bedarf.

Quelle: Landratsamt, Jahresbericht Jugend/Familie/Sport, Stand: Ende 2018 (Foto: N/A)

Die Kosten sind für die Eltern immer noch überschaubar: 360 Euro zahlen sie monatlich für eine Vollzeitbuchung, dazu 22 Euro Brotzeitgeld, sechs Euro Spielgeld und etwa 60 Euro fürs Mittagsessen, das ein Caterer aus Starnberg liefert. Finanziert wird die Einrichtung zu jeweils einem Drittel aus Elternbeiträgen, Zuschüssen der Gemeinde Tutzing und des Freistaats.

Was sich seit Anfang nicht geändert hat, ist, dass Verwaltung und Organisation der Kinderoase weiter unter der Regie der Eltern laufen. Der ehrenamtliche Vorstand unter Vorsitz von Christina von Bülow kümmert sich um Personal, Finanzen, Ausstattung, Öffentlichkeitsarbeit. Alle Eltern, die ihr Kind in der begehrten Einrichtung unterbringen wollen - Warteliste derzeit acht Kinder - müssen sich als Vereinsmitglieder zur Mitarbeit verpflichten. Die Eltern sollen sich auch untereinander kennenlernen. "Bei uns geht es viel um vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team. Nur so läuft es gut für unsere Kinder", so Julia Seiss.

Deshalb soll die Kinderoase auch nicht erweitert werden. Man wolle sich das Alleinstellungsmerkmal als kleine Krippe mit nur einer Gruppe in Tutzing erhalten. So kommt auch heute noch ein Bollerwagen zum Einsatz, wenn die Kinder an die frische Luft gehen, inzwischen ist der Fuhrpark allerdings mit diversen Buggys aufgestockt.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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