Karrierestart :Azubis machen sich rar

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200 Lehrstellen sind im Landkreis Starnberg noch zu haben - Tendenz steigend. Dem stehen 165 junge Leute gegenüber, die noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Doch Wunsch und Wirklichkeit passen häufig nicht zusammen

Von Otto Fritscher, Starnberg

Es sind starke Worte, die Wirtschaftsförderer Christoph Winkelkötter verwendet. "Dramatisch" und "schlimm" sei die Lage auf dem regionalen Ausbildungsstellenmarkt. Aktuell sind noch 200 Lehrstellen vor dem Start des neuen Ausbildungsjahres Anfang September unbesetzt. Das sind deutlich mehr als in den Vorjahren. Auch wenn jetzt noch viel Bewegung auf dem Markt herrscht, werden am Ende wohl rund 100 Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. Als Fanal nimmt Winkelkötter den Umstand, dass bei der jüngsten Freisprechungsfeier der Kreishandwerkerschaft kein einziger Bäckergeselle dabei war. "Sollen wir unsere Semmeln künftig nur noch in Backshops oder aus Automaten kaufen?", fragt Winkelkötter.

Rein rechnerisch müsste jeder Bewerber eigentlich eine Lehrstelle finden. 165 noch unversorgte junge Menschen standen Ende Juli auf der Liste der Agentur für Arbeit, und wie gesagt, 200 offene Lehrstellen. "Das sind gut zwei Dutzend freie Lehrstellen mehr als in den Vorjahren, die Tendenz ist steigend", sagt Sandra Perzul, Sprecherin der Arbeitsagentur in Weilheim, die auch für den Landkreis Starnberg zuständig ist.

Die meisten Bewerber werden im Bereich "Kaufmännische Dienstleistungen, Handel, Vertrieb, Tourismus" gesucht, nämlich 72. Allein 32 unbesetzte Stellen gibt es im "Verkauf ohne Produktspezialisierung", zehn weitere im Verkauf von Lebensmitteln. 24 Lehrstellen bieten einheimische Unternehmen in den Bereichen Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht, Verwaltung an. Gute Chancen auf eine Lehrstelle bietet auch die Gesundheitsbranche. So werden im Landkreis allein 25 Arzt- und Praxishilfen gesucht, dazu gibt es fünf Lehrstellen im Bereich Orthopädie- und Rehatechnik.

"Doch oft passen Wunsch und Wirklichkeit nicht zusammen", erklärt die Agentursprecherin. So ist Hitliste der gefragtesten Ausbildungsberufe bei jungen Männern und Frauen seit Jahren nahezu unverändert (siehe Info am Textende). Bei den Männer steht immer noch der Kfz-Mechatroniker auf Platz eins der Wunschliste. "Die Software-Updates für Diesel-Autos müssten doch eigentlich eine Job-Garantie für diesen Beruf sein", witzelt Winkelkötter. In der Tat sei es so, dass es für Azubis "in vielen Branchen zurzeit so etwas wie eine Übernahmegarantie nach der Ausbildung gibt."

Martin Eickelschulte, IT-Unternehmer aus Starnberg und Chef des regionalen IHK-Gremiums, bereitet vor allem die Suche nach "geeigneten Bewerbern" Sorgen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Doch auch Bewerber, die sich nicht auf Anhieb im Berufsleben zurecht finden", sollen eine Chance erhalten, das ist Sandra Perzul wichtig. "Die Unternehmen dürfen nicht nur Bewerber einstellen, die Einser in Deutsch, Englisch und Mathe haben", wie auch Wirtschaftsförderer Winkelkötter sagt. Es komme oft mehr auf die Praxisbegabung und praktische Fähigkeiten an. Und wenn es mal nicht gleich rundlaufe, dann könne die Arbeitsagentur mit Programmen wie der "Assistierten Ausbildung" helfen. Dabei gehe es um eine "individuelle Förderung für die Jugendlichen, etwa in Zusammenarbeit mit der Berufsschule, denn der eine braucht in dem Fach Hilfe und der zweite in einem anderen", so Perzul. Aber auch Betriebe könnten unterstützt werden, immer mit dem Ziel, einen Ausbildungsabbruch zu vermeiden und einen erfolgreichen Abschluss zu erreichen.

Auch Martin Eickelschulte, IT-Unternehmer aus Starnberg und Chef des regionalen IHK-Gremiums, zeigt sich besorgt. Vor allem die Suche nach "geeigneten Bewerbern" bereitet ihm Sorgen, denn es kämen immer wieder junge Leute in die Betriebe, denen "ein Mindestmaß an Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, ordentlichem Benehmen und anderen Dingen fehlt, diesen kleinen Selbstverständlichkeiten im Leben." Doch Schuldzuweisungen an Elternhaus oder Schulen will Eickelschulte nicht verteilen; aber er weist darauf hin, dass die Betriebe versäumte Erziehung kaum nachholen können.

Und noch etwas anderes ist Eickelschulte wichtig: "Ich kann nur jedem empfehlen, zwischen der Schule und dem Studium eine Ausbildung zu machen." Denn: "So lernt man das wirkliche Leben kennen." Und zudem könne man eine treffsicherere Auswahl des Studiengangs tätigen. Eltern, Lehrer und Schüler müssten noch mehr als bisher motiviert werden, eine Ausbildung als Alternative heranzuziehen, gerade angesichts der Übertrittsquote von der Hauptschule in Gymnasien von mehr 80 Prozent in der hiesigen Gegend.

Ein zweites Thema liegt Eickelschulte noch am Herzen: das duale Studium. Bisher bieten vor allem Großfirmen wie Webasto diese Ausbildungsform an, die in Baden-Württemberg viel verbreiteter sei als in Bayern, sagt Eickelschulte. Dabei wechseln sich Studium und Ausbildung im Betrieb blockweise ab. "Doch auch für einen Mittelständler kann dies ein interessantes Modell sein, den eigenen Nachwuchs an die Firma zu binden, statt nur über den Fachkräftemangel zu klagen", sagt Eickelschulte.

Auch Winkelkötter fordert die Unternehmen auf, sich beizeiten um die Besetzung ihrer Lehrstellen zu kümmern. Ein Beitrag der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusförderung, deren Chef Winkelkötter ist, sei der "Tag der Ausbildung", der heuer wieder am Buß- und Bettag, 22. November, stattfindet.

Im vergangenen Jahr beteiligten sich rund 400 Schüler und mehr als 70 Betriebe aus unterschiedlichen Branchen an dem Tag. Er bietet die Möglichkeit, während einer Bustour mehrere Firmen, die Lehrstellen anbieten, kennenzulernen. "Es ist dringend zu empfehlen, sich am Tag der Ausbildung zu beteiligen", sagt Winkelkötter. Denn es sei nicht allen jungen Leuten bekannt, wie viele interessante Firmen es im Landkreis gebe. "Da muss man nicht nach München schielen", erklärt der Wirtschaftsförderer. Ein Vorteil hier: "Bei Großunternehmen bist du als Azubi einer von 100 oder vielleicht 200, bei den Unternehmen im Landkreis geht es individueller zu - und zudem spart man Fahrzeit."

Empfohlen wird von allen Seiten, dass sowohl Betriebe, die offene Ausbildungsstelle im Angebot haben, als auch junge Leute, die eine Ausbildung suchen, sich so schnell wie möglich bei der örtlichen Arbeitsagentur melden sollen.

Die Top 10 der Lehrberufe männlich: Platz 1: Kfz-Mechatroniker, Kaufmann im Einzelhandel, Automobilkaufmann, Verkäufer, Fachinformatiker, Sport- und Freizeitkaufmann, Kaufmann - Büromanagement, Kaufmann im Groß- und Einzelhandel, Tischler, Industriemechaniker. weiblich: Platz 1: Kauffrau - Büromanagement, Medizinische Fachangestellte, Kauffrau im Einzelhandel, Verkäuferin, Hotelfachfrau, Kommunalverwaltungsfachangestellte, Veranstaltungskauffrau, Tiermedizinische Fachangestellte, Konditorin, Immobilienkauffrau.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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