Kabarett:Stimmgewaltig

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Als einziges Requisit kommt in Jochen Malmsheimers Programm rund um eine Venedigfahrt kurz vor Schluss die Dogenmütze Corno Ducale zum Einsatz. (Foto: Agentur/OH)

Jochen Malmsheimer, Träger des Deutschen Kabarettpreises 2018, gibt in Seefeld ein umjubeltes Gastspiel. Die Sprache ist dabei Werkzeug und Waffe, seine Mission: die Menschen zum Lesen zu führen

Von Armin Greune, Seefeld

Giganten der Kleinkunst heißt die Veranstaltungsreihe des Vereins Räsonanz Seefeld - vielleicht etwas überambitioniert. Doch im Fall von Jochen Malmsheimer trifft der Titel absolut zu. Mit bärenartiger Statur erfüllt der bärtige Brocken schon in physischer Hinsicht die Erwartungen, die man an einen Riesen stellt. Wer ihn dann am Freitagabend im ausverkauften Saal Peter und Paul erleben durfte, war sich bald auch sicher, dass Malmsheimer weit über den Durchschnitt der deutschsprachigen Kabarettszene herausragt. Kein Wunder, dass der vormalige Hausmeister der satirischen "Anstalt" viele Preise abgeräumt hat: Salzburger Stier und Gaul von Niedersachsen, Bayerischer und Schweizer Kabarettpreis, Deutscher Kleinkunstpreis. 2018 wurde ihm zum zweiten Mal der Deutschen Kabarettpreis verliehen - als Hauptpreis, nachdem er schon 2009 den Sonderpreis erhielt.

Zudem dürfte sein Programm "Dogensuppe Herzogin - ein Austopf mit Einlage" schon quantitativ kaum zu übertreffen sein: Auf keinem Brettl bekommt man an einem Soloabend so viele Wörter, Pointen und Albernheiten serviert. Je eine Stunde vor und nach der Pause schwadroniert der Mann aus dem Ruhrgebiet in unzähligen Rollen auf der Bühne - und das oft in einem Tempo, dass sein Publikum mit dem Lachen nicht nachkommt. Er braucht keine Requisiten, Kostüme und nur minimale Unterstützung vom Band, um alle in seinen Bann zu schlagen. Der Witz blitzt vor allem in Wortspielen und -schöpfungen auf: Wenn das Handy Laut gibt, "frunzt die Klirre", niest jemand im Saal heißt die Parole "Nichtschwimmer auf den Tisch". AfD-Landeschef Björn Höcke bezeichnet Malmsheimer als "mentalen Klostein". Pubertäre Burschen "entsprechen chemisch wie intellektuell dem Blasenmützenmoos", ist ihre Blödheit doch dem Testosteron geschuldet, dass ja die höchst Misstrauenserregenden Wortteile "Test" und "Ost" enthält.

Im Prolog ereilt ihn ein Anruf des Agenten, der ihn zu einer Anrufung im Hohen Stil inspiriert, um den "Oheim und Eidam des Erfolges" wortreich zu preisen. Die "Dogensuppe Herzogin" sei bloß ein Reisetagebuch über das Martyrium einer zwölfstündigen Busreise nach Venedig, in die Malmsheimer um des ehelichen Friedens willen einwilligen musste. Doch nach anfänglichem Philosophieren über den hageren Reiseleiter, der "an Kelp oder Flechten erinnert", oder Orte am Wegesrand ("Wir waren seit langer Zeit das Erste, was Siegen passiert ist. Von Siegen lernen heißt liegen lernen") kommt Malmsheimer immer mehr vom Kurs ab: Auf der Busfahrt gewinnen Traumsequenzen die Oberhand. Nach der Pause ist das Gefährt dann ausschließlich mit den Helden aus Malmsheimers Jugend besetzt: Odysseus und Ivanhoe, Marco Polo und der Doge von Venedig, die Drillinge "Winneone, Winnetwo und Winnethree". Da liefert sich Robin Hood mit dem Sheriff von Nottingham rasend komische verbale Scharmützel: "Handlanger des Establishments" - "Beinkleid eines Balletthasen". Unglaublich flink wechselt Mannsheimer vom grollenden Bass Long John Silvers zum hohen Fisteln des Dogen, bis der von Luthers Fürzen betäubt in Ohnmacht sinkt. Das gewaltige Stimmspektrum bei klarer Diktion ist neben der Kunst des Wortspiels und des ausgefeilten Satzbaus eine besondere Stärke des 57-Jährigen.

Doch was soll das alles? Wo bleibt die Moral? Literarische Vorbilder, Fantasiegestalten seien in geistlosen Zeiten dringend nötig, um Rassismus und Ignoranz in die Schranken zu weisen: Eindringlich mahnt Malmsheimer sein Publikum, den Kindern vorzulesen, damit die Sprache nicht zu Fragmenten wie "Was für Beschissen ist das" verkommt und sich der geistige Horizont über den Rahmen der "Faustglotze" hebt. Mit dieser Mission ist sich der wortgewaltige Kabarettist selbst treu geblieben: Seine Bühnenlaufbahn begann mit Frank Goosen im Duo Tresenlesen. In Seefeld dankt er dem schließlich restlos begeisterten Publikum "für das freundliche Entgegensitzen. Es war mir ein Fußbad".

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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