Integration von Asylbewerbern:Fremd und doch nicht ganz allein

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Nach einem Jahr Erfahrung mit minderjährigen Flüchtlingen, die allein ins Fünfseenland gekommen sind, zieht Jugendamtsleitern Rosemarie Merkl-Griesbach eine recht positive Bilanz

Von Christiane Bracht, Starnberg

Diesen Herbst erwartet das Starnberger Jugendamt wieder neue minderjährige Flüchtlinge, die allein nach Deutschland gekommen sind. "Wie viele es sein werden, weiß niemand", sagt die Leiterin der Behörde Rosemarie Merkl-Griesbach. So viele wie bei dem großen Ansturm vor gut einem Jahr werden es aber vermutlich nicht sein. Merkl-Griesbach geht eher davon aus, dass die neu geschaffenen Einrichtungen von BRK, Caritas, Tabaluga und den Benediktinerinnen reichen werden, um die Neuankömmlinge aufzunehmen.

Derzeit kümmert sich der Landkreis um 117 alleinstehende minderjährige Flüchtlinge. Die meisten von ihnen leben in Jugendhilfeeinrichtungen, die sie entweder Vollzeit oder, wenn die Jugendlichen schon etwas selbständiger sind und auch nicht unter einem Trauma leiden, das sie auf der Flucht erlebt haben, stundenweise betreuen. Die Pädagogen helfen ihnen, im deutschen Alltag zurechtzukommen, lernen mit ihnen Deutsch oder assistieren bei den Hausaufgaben. Außerdem sorgen sie dafür, dass die Jugendlichen pünktlich zur Schule, zum Praktikum oder ihrem Ausbildungsplatz kommen. Sie stehen ihnen bei, wenn sie von furchtbarem Heimweh geplagt werden und ihre Familien vermissen. Oder sprechen ihnen Mut zu, wenn sie die erste große Enttäuschung überwinden müssen, weil sie sich in der Fremde alles viel leichter vorgestellt haben. Insgesamt hat der Landkreis im vergangenen Jahr 103 Plätze für die Betreuung jugendlicher Flüchtlinge geschaffen. So viele, wie nach dem Königsteiner Schlüssel nötig sind, "und dass obwohl das Jahr noch nicht einmal vorbei ist", triumphiert Merkl-Griesbach. Miteingerechnet ist auch die neue Einrichtung in Gilching, die dieser Tage eröffnet wird. Der Landkreis Starnberg stehe eben gut da, freut sich die Jugendamtsleiterin.

Durchschnittlich bleiben die Jugendlichen eineinhalb bis zwei Jahre in den Einrichtungen. Die meisten wollen dann auch auf eigenen Füßen stehen und eigenes Geld verdienen, schließlich sind sie durch die Flucht schon sehr selbständig, sagt die Jugendamtsleiterin. Außerdem drängen die Behörden darauf, dass die jungen Leute nur so lange bleiben, wie nötig. Ein Tag in einer Jugendhilfeeinrichtung kostet den Steuerzahlern zwischen 150 und 175 Euro. Also eine beachtliche Summe. Man überlässt die erwachsen Gewordenen aber danach nicht komplett sich selbst. Sie werden noch etwas nachbetreut. Dafür hat das Jugendamt vier Sozialpädagogen eingestellt. Diese kümmern sich aber auch um minderjährige Flüchtlinge die mit ihrer Familie gekommen sind. Außerdem haben zehn Familien aus dem Fünfseenland Pflegekinder aufgenommen, die allein nach Deutschland geflohen sind. "Das klappt gut, auch wenn es für die Familien anstrengend ist", sagt Merkl-Griesbach. Der Vorteil ist, dass diese Kinder viel leichter integriert werden, weil sie von Anfang an den Alltag in einer deutschen Familie erleben und deutsch sprechen müssen. Während die Kinder in den Notunterkünften oft mehr ihre Muttersprache sprechen und mit Problemen belastet sind, die in der Enge der Verhältnisse entstehen, zum Beispiel Sucht und ähnliches.

"Ein Jahr danach kann man sagen: Die Flüchtlinge sind in allen Facetten der Gesellschaft angekommen", berichtet Merkl-Griesbach. Fast alle Ämter haben neue Leute eingestellt, um die Aufgaben, die jetzt deutlich mehr geworden sind, bewältigen zu können. So hat auch die Berufsschule inzwischen vier Anfängerkurse und zwei Klassen, die nun im zweiten Jahr dort unterrichtet werden. "Und es werden noch mehr", weiß die Jugendamtsleiterin.

Nach dem großen Ansturm vergangenen Herbst und Winter sind nur noch vereinzelt jugendliche Flüchtlinge ins Fünfseenland gekommen. Die Neuankömmlinge wurden viele Monate in andere Bundesländer weitergeleitet, damit die finanzielle Belastung innerhalb Deutschlands einigermaßen gleich verteilt ist. Der Ausgleich scheint nun geschafft. Jedenfalls bekommt nun auch Bayern wieder alleinreisende minderjährige Flüchtlinge zugeteilt, sagt Merkl-Griesbach. "Viele kommen aus Westafrika zu uns." Auch in finanzieller Hinsicht ist die Jugendamtsleiterin zuversichtlich: Zehn Millionen Euro hat der Landkreis im Haushalt 2016 für minderjährige Flüchtlinge eingeplant. Etwa die Hälfte davon hat das Jugendamt bislang gebraucht, sagt Merkl-Griesbach. Auch wenn finanziell noch Luft sei, eine weitere Einrichtung ist nicht geplant. Zu schwierig ist es, im hochpreisigen Fünfseenland einen passenden Raum zu finden. "Wir hoffen, das Angebot reicht eine Zeitlang."

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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