Erinnerungskultur:Adressen mit Dreck am Stecken

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Erich Holthaus "galt als eifriger Anhänger des Dritten Reiches". (Foto: Georgine Treybal)

Drei Straßen in Herrsching sind nach Anhängern der NS-Diktatur benannt. Viele Anwohner stimmen einer Umbenennung zu - doch es gibt auch Zweifel.

Von Katja Sebald, Herrsching

Noch bis Ende des Monats können und sollen sich Herrschinger Bürger zu einer möglichen Umbenennung von drei Straßen äußern. Alle drei sind nach Personen benannt, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaates verstrickt waren. Konkret geht es um die Erich-Holthaus-Straße, um die Madeleine-Ruoff-Straße und um die Ploetzstraße. Die Mehrheit derjenigen, die sich bisher gemeldet haben, seien für die Änderung der Straßennamen, berichtet Kreis- und Gemeindearchivarin Friedrike Hellerer, auf deren Tisch die eingehenden Stellungnahmen landen. Es gebe aber auch andere Stimmen.

"In unserer Zeit würden Madeleine Ruoff, Alfred Ploetz und Erich Holthaus nicht mit einem Straßennamen geehrt werden", schreibt die Gemeinde Herrsching dazu auf ihrer Internetseite. Und weiter: "Es darf angenommen werden, dass entscheidende Fakten denjenigen, die für die Straßenbenennungen verantwortlich waren, nicht bekannt waren." Nachdem man Hellerer, die über die NSDAP im Landkreis Starnberg promovierte und eine profunde Kennerin der NS-Zeit ist, mit der Recherche zu möglicherweise belasteten Straßennamen beauftragt hatte, befasste sich der Gemeinderat im Oktober 2023 mit dem Thema. Beschlossen wurde damals jedoch nicht eine Umbenennung, sondern zunächst eine Meinungsumfrage. Anwohner und Eigentümer der drei Straßen wurden von der Verwaltung angeschrieben.

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Diejenigen, die sich bislang gegen die Umbenennung der Straßen ausgesprochen haben, nannten laut Hellerer vor allem den bürokratischen Aufwand und die damit verbundenen Kosten als Gründe. Hellerer aber fragt sich: "Will man wirklich in einer Straße leben, die nach jemandem benannt ist, der so viel Dreck am Stecken hat? Oder kann man seine eigene materielle Betroffenheit vielleicht hintanstellen?" Nach gründlicher Archivrecherche kommt die Historikerin zu dem Ergebnis, dass es damals gute Gründe gegeben haben mag, diese drei Herrschinger mit einer nach ihnen benannten Straße auszuzeichnen. Nach aktuellem Wissensstand seien jedoch auch diese Gründe anzuzweifeln. Hellerer sagt: "Es wäre in der heutigen Zeit, in der doch ein Gedankengut wieder aufkeimt, das dem von damals sehr ähnelt, ein wichtiges Zeichen, die Ehrung dieser Personen aufzuheben und die Straßen umzubenennen."

Im Fall von Erich Holthaus, der von 1948 an erster Vorsitzender des VdK-Ortsverbands Herrsching war und sich in dieser Funktion für die Erbauung einer VdK-Siedlung einsetzte, spricht nicht nur seine Mitgliedschaft in der SA gegen eine Würdigung. Im Entnazifizierungsverfahren wurden ihm auch Denunziationen vorgeworfen. In seiner Vernehmung vor der Spruchkammer im Jahr 1948 erklärte Holthaus, er sei "unfreiwillig in die NSDAP aufgenommen" worden. Der damalige Herrschinger Bürgermeister Rehm bescheinigte ihm jedoch: "Galt als eifriger Anhänger des Dritten Reiches!"

Madeleine Ruoff und ihrem Mann wurde 1948 vorgeworfen, sich an arisierten Immobilien bereichert zu haben. (Foto: Georgine Treybal)

Die Umbenennung der Keramischen Straße in "Madeleine-Ruoff-Straße" geschah während der zweiten Amtszeit von Ludwig Schertel als Bürgermeister der Gemeinde Herrsching. Schertel war schon in den Jahren 1937 bis 1945 Bürgermeister gewesen und hatte gute Kontakte zu Madeleine Ruoff gepflegt. Er hatte auch die Verleihung der neu geschaffenen Bürgermedaille an sie initiiert. Madeleine Ruoff wurde als Stifterin eines Kindergartens geehrt. Sie entstammte der reichen und in Amerika bis heute mächtigen DuPont-Dynastie, die im 19. Jahrhundert viel Geld mit der Produktion und dem Verkauf von Dynamit verdient hatte, und besaß mehrere Immobilien in Herrsching. 1939 überließ sie ein Gebäude in der heutigen Seestraße der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) als Kindergarten, im Jahr darauf schenkte sie es der Gemeinde. Ein weiteres Haus an der Seepromenade stellte sie der NSV als "Müttergenesungsheim" zur Verfügung.

Madeleine Ruoff und ihr Mann hatten während des Krieges mehrere Immobilien erworben. 1948 kam es zu einem "Wiedergutmachungsprozess", in dem ihnen vorgeworfen wurde, sich an arisierten Immobilien bereichert zu haben. Das Verfahren endete mit einem Vergleich.

Hitler ernannte Alfred Ploetz zum Professor

Alfred Ploetz veröffentlichte bereits 1895 sein Werk "Die Tüchtigkeit unsrer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum Socialismus". Hier sprach er sich explizit für das "Ausmerzen" von schwächlichen oder behinderten Neugeborenen aus. Ab 1914 lebte er in Herrsching auf Gut Rezensried, wo er Landwirtschaft betrieb und Versuche zur Genveränderung bei Kaninchen durch Alkoholismus unternahm. 1928 schrieb er über die "Ziele und Aufgaben der Rassenhygiene" in den Süddeutschen Monatsheften: "Die Ausmerzung Minderwertiger wäre zu bewirken durch Abraten von der Ehe bei dazu Untüchtigen (Eheberatungsstellen), durch Eheverbote, durch freiwillige Sterilisierung von Verbrechern (Möglichkeit von Straferlass bei Sterilisierung), dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und ähnliches."

1934 erhielt Ploetz wegen seiner Verdienste um die theoretischen Grundlagen der Rassenhygiene und der Propagierung dieser Ideen den Pettenkofer-Preis. 1936 ernannte ihn Adolf Hitler wegen seiner Verdienste um die deutsche Rassenhygiene zum Professor.

Noch bis Donnerstag, 29. Februar, haben Herrschinger Bürger die Möglichkeit, sich schriftlich oder per E-Mail an info@herrsching.de zu äußern. Der Gemeinderat wird sich dann nach Auswertung der Stellungnahmen voraussichtlich im Frühjahr mit dem weiteren Vorgehen befassen.

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