Herrsching:Ein Speicher zum Stöbern und Schmökern

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Die agrarhistorische Bibliothek führt im Haus der Bayerischen Landwirtschaft in Herrsching ein Dornröschen-Dasein. Dabei steht sie allen Neugierigen offen und kann mit antiquarischen Schätzen und Kuriositäten aufwarten.

Von Armin Greune, Herrsching

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(Foto: Arlet Ulfers)

Bibliothekarin Katharina Höninger hütet ihren Bestand wie einen Schatz.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Kolorierte Stiche...

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

und andere Kostbarkeiten.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dieses Buch, welches die Weinherstellung beschreibt, findet sich ebenfalls unter den Exponaten.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Ein abgegriffener Ledereinband und vergilbte Seiten zeugen vom hohen Alter der Bücher.

Hätten Sie's gewusst? Der getrocknete Kot einer drei Tage lang nur mit Krebsen gemästeten Katze vermag Krebsgeschwüre zu heilen. Das glaubte man zumindest 1682, wie im Lehrbuch "Georgica Curiosa" nachzulesen ist. Die prächtig mit Stichen ausgestatteten Bände gehören zu den Paradestücken der agrarhistorischen Bibliothek im Haus der bayerischen Landwirtschaft. Aber auch in unscheinbaren Heften wie dem landwirtschaftlichen Kalender "Scholle und Kraft" verbergen sich höchstinteressante zeitgeschichtliche Dokumente - wie etwa zur Glorifizierung des "Reichsnährstands" im Nazi-Regime. Dazu werden Perlen der Lyrik gereicht: "Heut tanzt man Foxtrott, Shimmy, Jazz / Im Frack, in Schnabelschuh und Glatz. / Das Tanzen ward zum Beine-Stottern/ Die Musik stammt aus Hottentottern." Mit diesen Stolperreimen beglückte Karl Räder 1925 die Leser des vom Chemie- und Düngerkonzern IG Farben herausgegebenen Kalenders. Allein darin könnte man stunden-, wenn nicht wochenlang schmökern.

Die gesamte Bibliothek umfasst mehr als 22 000 Exemplare. Der Bayrische Bauernverband hat sie als Rechtsnachfolger des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern erhalten, der auch das Zentrale Landwirtschaftsfest, den Vor- und Mitläufer der Wiesn organisierte. Außerdem gab der Verein seit 1811 das noch heute 100 000-fach aufgelegte Landwirtschaftliche Wochenblatt heraus - dessen komplette Jahrgänge auch zu den Exponaten in Herrsching zählen. Selbst die dort gelagerten Akten des Landwirtschaftlichen Vereins haben es in sich: In einem handgeschriebenen Brief bittet der weltberühmte Priester und Therapeut Sebastian Kneipp den Verein um einen Zuschuss, damit er Zuchtrinder aus dem Ausland einführen könne, erzählt die Bibliothekarin Katharina Höninger. Und sie zeigt vor exakt 101 Jahren beim Verein eingegangene Protestbriefe "über die bäuerliche Stimmung zur Zeitverschiebung", in denen die erstmals eingeführte Sommerzeit mit der Pest gleichgesetzt wird.

So vieles gäbe es in den Regalen im Dachgeschoss zu entdecken, das längst nicht nur für Historiker oder Landwirte von Interesse wäre - wenn nur jemand die Zeit dafür aufbrächte. Um in den Beständen nach noch ungehobenen Schätzen zu stöbern, hat sich Höninger schon oft "sachkundigen Beistand gewünscht". Immerhin ist nun ein weiterer Schritt erfolgt, der Neugierige anlocken könnte: Seit kurzem kann der gesamte katalogisierte Bestand im Internet überblickt und durchsucht werden.

Die Bücher selbst sind freilich nicht digitalisiert worden, dazu fehlt es an Geld und Personal. Eine einzige Handschrift online zu stellen koste rund 300 Euro, sagt Höninger: "Deshalb warten wir erst einmal ab, bis die Staatsbibliothek ihren Bestand ganz digitalisiert hat". Dann könne man ja sehen, welche Lücken die Herrschinger Sammlung für virtuelle Besucher noch schließen könnte. Bis dahin freut sich die Inningerin über jeden Interessierten, der bei ihr persönlich vorbeischaut. Ihr Reich steht montags bis donnerstags von 9 bis 12.30 Uhr offen, nur um Voranmeldung unter Telefon 08152/938-290 oder -000 wird gebeten.

Die gelernte Kartografin hat zwar nur eine befristete Halbtagsstelle, verbringt aber weit mehr Zeit in der Bibliothek, als entlohnt wird. Höninger hat sich schon immer leidenschaftlich für Bücher und historische Karten begeistert. Als die Stelle in Herrsching vor sechs Jahren ausgeschrieben wurde, griff sie sofort zu: "Das war für mich die Chance, ein Hobby zum Beruf machen zu können." Ihre vorrangigen Aufgaben sind das Bewahren, digitale Archivieren und Katalogisieren des Bestands. Aber sie lässt auch nicht in ihrem Bemühen locker, Interesse für die Bibliothek zu wecken: Mit den Agrarhistorischen Foyergesprächen stellt sie dreimal jährlich Themen vor, auf die sie beim Stöbern in den Büchern gestoßen ist. So referierte im Januar der Pfarrer und Bildungsstättenleiter Andreas Beneker über "Luther und die Bauern". Beim nächsten Foyergespräch am 22. Juni werden Alois Epple und August Filser über Kneipps Beiträge zu Viehzucht und Imkerei sprechen. Nähere Informationen zu diesen Veranstaltungen finden sich auf www.hdbl-herrsching.de/ahb. Dort präsentiert Höninger auch Kostbarkeiten aus der Bibliothek: "Ich versuche alle zwei Wochen ein neues Buch vorzustellen." Derzeit sind im Internet unter anderem "Der gut unterrichtete Spargel-Gärtner" von 1835 und Hermann Eckerts "Die Frau des Landwirths und ihre Arbeit im Hauswesen" abgebildet. Darin wird noch 1890 allen Ernstes eine Methode beschrieben, wie man "einen Erfrorenen selbst nach mehreren Tagen, wenn nicht schon die Verwesung eingetreten ist, wieder erwecken" könne. Eckerts Ratgeber steht in der langen Tradition der sogenannten Hausväterliteratur. Darin nahmen die Autoren zu Sitte und Glauben Stellung, gaben Tipps für Ehe, Erziehung und Hausstand, empfahlen Hausmittelchen gegen Beschwerden und widmeten sich Botanik, Ackerbau und Viehzucht. Diese Bände waren reich illustriert, sie stellten oft neben der Bibel die einzigen Bücher in ländlichen Haushalten dar und wurden entsprechend hoch geschätzt. Das "Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute" verkaufte sich zwischen 1787 und 1838 eine halbe Million mal. Eines der ersten Hausväterbücher war die bereits erwähnte "Georgica Curiosa" von Wolf Helmhardt von Hohberg, in der agrarhistorischen Bibliothek ist sie gleich zweifach erhalten geblieben. Der Barockautor richtete sich mit dem 1400 Seiten-Werk vor allem an Großbauern und Adelige mit Landgütern und wusste noch nützliche, wenn auch ziemlich umständliche Mittel gegen alle Arten Zauberei. Über die komplizierten Rezepturen soll hier nur verraten werden, dass wer ein "beschryen", also verhextes Pferd besitzt, unter vielem anderen auch "ohngefähr ein Loth Menschenbein gebrannt" und "Harn von einem jungen noch reinen Knaben" zur Hand haben sollte.

Von 1533 bis zur Gegenwart datieren die Bücher und Dokumente, die - nach Themen geordnet - Wissenswertes und Kurioses aus Land-, Haus- und Forstwirtschaft, Naturwissenschaft, Technik, Gesetzgebung und Verwaltung enthalten oder Einblicke ins bäuerliche Leben vergangener Zeiten gewähren. Darüber hinaus sind in der Bibliothek die Altbesitzmatrikel des Bauernverbands archiviert: Darin werden Höfe eingetragen, die mehr als 200 Jahre lang von derselben Familie bewirtschaftet wurden. Bis jetzt hat der Verband mehr als 10 000 Altbesitzurkunden ausgestellt, der älteste Hof konnte auf 700 Jahre Geschichte zurückblicken - und wurde wie so viele nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben, sagt Höninger.

Die besonders wertvollen Bücher und Folianten werden in einem verschlossenem Stahlschrank verwahrt. Darunter auch das derzeitige Lieblingsbuch der Bibliothekarin: "Deutschlands Obst- und Beerenfrüchte" von Carl Calwer aus dem Jahr 1854. Die Stiche darin sind von Hand koloriert worden. "Das geschah allerdings oft in einer Art Fließbandbetrieb mit vorgefertigten Schablonen", weiß Höninger. Neben dem Stahlschrank stehen drei schwere Pappkartons mit Büchern, die gerade von der Schimmelreinigung zurückgekommen sind. Die Pilze finden im Dachboden fast ideale Temperatur- und Luftfeuchtebedingungen vor: "Wir sind hier sehr provisorisch untergebracht", erklärt Höninger. Wulf Treiber, der im November 2015 gestorbene, vormalige Leiter des Hauses der Landwirtschaft, hatte die Idee unterstützt, für die Sammlung einen Neubau zu errichten, dazu hätten Fördermittel aus Leader-Mitteln beantragt werden sollen.

Unter der neuen Geschäftsführung werden die Pläne erst einmal nicht weiter verfolgt. Aber wenigstens eine Klimaanlage und Einbauten für den Brandschutz wären dringend erforderlich, um den wertvollen Bestand vor Schäden zu bewahren, findet Höninger. Sie muss sich wohl damit abfinden, dass ihre Räume bis zum Bersten angefüllt sind, für Neuerwerbungen steht kaum Platz und nur ein sehr kleiner Etat zur Verfügung. "Uns wird eher zuviel angeboten" - gerade eben hat die Bibliothekarin ein Angebot von Büchern aus den 1980er Jahren ablehnen müssen.

Ähnliches Material quillt schon aus den Regalen: Auch die ehemalige Lehrmittelbibliothek der Bildungsstätte des Bauernverbands - einschließlich mehr als 20 Jahre alter Reiseführer für Studienfahrten - nimmt viel Raum ein. Dazu kommen etwa Fotoalben und Dias von den elfwöchigen Grundkursen, die Landwirte und Hauswirtschafterinnen in Herrsching zur beruflichen Qualifizierung besuchen - und von denen inzwischen 123 über die Bühne gegangen sind. Höninger fehlt einfach die Zeit, das alles zu sichten. "Aber wegschmeißen kann ich es auch nicht", sagt sie und seufzt. Vielleicht ist ja ein Messie-Syndrom unter Bibliothekaren anerkannte Berufskrankheit.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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