Hartz IV im Landkreis Starnberg:"Nur wer mithalten kann, wird akzeptiert"

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Schicke Kleider sind bei Jugendlichen wichtig. Im Landkreis Starnberg mehr als anderswo: Wie Hilfeempfänger in der Region der Reichen leben.

Christiane Bracht

Hartmut F. (Name geändert) hat eine wichtige Ausgabe in der Woche: Das ist die S-Bahn-Karte von München nach Starnberg. Harmut F. lebt von Hartz IV. Und bei der Starnberger Tafel, das hat sich in der Landeshauptstadt herumgesprochen, ist die Auswahl größer. Deshalb setzt sich der Münchner in die S-Bahn. Wie viele andere.

Volles Haus: Das Sozialkaufhaus der Caritas in Starnberg kann sich über mangelnde Spenden nicht beklagen - und die werden auch gebraucht. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Auch aus Tutzing oder Gauting fahren manche extra nach Starnberg, wenn die Tafel-Helfer Lebensmittel verteilen, allerdings aus einem anderen Grund: Sie wollen der Schmach entgehen, im eigenen Ort erkannt zu werden. Vor 13 Jahren, als die Starnberger Tafel ins Leben gerufen wurde, unterstützte sie 20 Leute, heute sind es etwa 130.

Neben Lebensmitteln werden auch Kleider ausgegeben. "Für Jugendliche, die wir kennen, hängen wir auch schon mal gute Sachen zurück", sagt Edith Clemm, die Initiatorin der Tafel. Denn Kinder müssten am meisten unter der Situation leiden. Etwa 50 Kinder und Jugendliche sind inzwischen von der Hilfe der Tafel-Mitarbeiter abhängig.

Schicke Kleider und reichlich Taschengeld sind bei Jugendlichen wichtig. "Im Landkreis Starnberg mehr als anderswo", weiß der Starnberger Jugendamtsleiter Bernhard Frühauf. Denn wer in der Schule bei diesen Dingen nicht mithalten kann, "wird nicht akzeptiert". Oft genug komme es zu Reibereien, manchmal sogar zu Mobbing, wenn "die Reichen den Armen nicht mehr helfen wollen oder sie gar schikanieren".

Mit Sozialarbeitern, die sich in den Schulen um Integration bemühen und Streit schlichten, versuche man, dem entgegenzuwirken, sagt Frühauf. Auch die Lehrer seien inzwischen sensibilisiert. Das bestätigt Florian Thurmair, Rektor der Grund- und Hauptschule in Herrsching. Er kennt Fälle, bei denen Kinder versuchten, die Armut ihrer Eltern zu verstecken. Dann vergessen sie schon mal, das Kopiergeld mitzubringen.

Die Scham ist groß - auch wenn Schule, Förderverein und Elternbeirat versprechen, finanzielle Probleme von Eltern vertraulich zu behandeln. Bei Schulfahrten zum Beispiel: "Die Fragen nach Zuschussmöglichkeiten häufen sich", berichtet Josef Parsch, der Direktor des Starnberger Gymnasiums. Welche seiner Schüler von Hartz IV leben, weiß er nicht. Er ist sich aber sicher, dass es in seiner Schule welche gibt.

Lebensmittel von der Tafel, Zuschüsse zu den Klassenfahrten - ohne die Hilfe durch private Vereine oder Stiftungen ist es schwer, über die Runden zu kommen. Zumal im Kreis Starnberg, wo die Lebenshaltungskosten hoch sind und wo die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderklafft als anderswo. Doch das reiche Umfeld

habe auch seine positiven Seiten, sagt Tafel-Initiatorin Clemm: "Unsere Tafel ist reicher bestückt als die woanders." Auch das ist ein Grund, weshalb inzwischen relativ viele Bedürftige wie Hartmut F. aus München kommen. "Die meisten sind baff, was sie hier alles bekommen", sagt Clemm. In München werden fertige Tüten ausgegeben.

In Starnberg können es sich die Mitarbeiter der Tafel erlauben, auf die Menschen einzugehen. Wer keinen Blumenkohl mag, muss keinen mitnehmen. Familien mit Kindern bekommen andere Dinge als Alleinstehende. Die Bedürftigen gehen jede Woche mit Lebensmitteln im Wert von 30 bis 50 Euro nach Hause, sagt Clemm. Das Sozialamt wollte diese Hilfe schon einmal von den Hartz-IV-Bezügen abziehen, doch Clemm weigerte sich anzugeben, wer da war. Schon weil sie es den Bedürftigen nicht noch schwerer machen will, sich zu überwinden und zur Tafel zu kommen.

Auch die Spendenbereitschaft scheint groß zu sein. "Wir haben inzwischen so viele Bücher, dass wir davon schon Häuser bauen könnten, und Kleider müssen wir sogar manchmal zurückweisen, weil wir keinen Platz mehr haben", sagt Jörg Straub vom Sozialkaufhaus der Caritas in Starnberg. Ein anderer positiver Aspekt am reichen Landkreis ist wohl auch, dass es hier mehr Wohlhabende gibt, die ihr Vermögen in eine Stiftung investieren, um Bedürftigen zu helfen.

© SZ vom 29.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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