Glaskunst:Linien des Lebens

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Johannes Schreiter hat die Fenster der Wallfahrtskirche Maria Eich in Planegg gestaltet

Von Annette Jäger, Planegg

Die Heilsgeschichte ist auf Glas gebannt. Sie beginnt auf der linken Bildseite mit der Menschwerdung Jesu. In der Mitte klingt das Ostergeschehen an, am rechten Bildrand wird das Pfingstereignis thematisiert. Die Szenerie auf den bodentiefen Fenstern in der Wallfahrtskirche Maria Eich in Planegg nimmt den gesamten Altarraum ein und führt durch das Kirchenjahr. Es ist eine abstrakte, reduzierte Darstellung des Heilsgeschehens, die der Glaskünstler Johannes Schreiter 2009 für die Wallfahrtskirche geschaffen hat.

Früher waren die Fenster transparent, die Kirchenbesucher konnten durch sie in den Wald blicken. Das war schön, lenkte aber ab, sagt Pater Matthäus Klein, Prior des Augustinerklosters in Maria Eich, dem gemeinsam mit seinen Mitbrüdern die Seelsorge in Maria Eich anvertraut ist. Heute, nach der Umgestaltung der Kirche vor zehn Jahren, dringt das Licht nur gedämpft durch die bemalten Fenster ins Kircheninnere. Es unterstreicht die Stille und lässt einen meditativen Raum entstehen, der einlädt, "das Leben zu bedenken".

Farblich hielt sich Schreiter, der bis 1987 Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main war, an den sogenannten Grisaille-Klang, die Töne Grau, Weiß und Schwarz. Es sind die Farben, die oftmals in der Glasmalerei der Zisterzienserorden verwendet wurden, denn farbige Glasmalerei lehnte der Orden ab. Die einzige Farbe im Glasbild in der Wallfahrtskirche ist ein Gelb-Orangeton, das Göttliche symbolisierend.

Die Heilgeschichte in der Fensterdarstellung beginnt mit dem Heiligen Geist, der mit einem Lichtstrahl in die Welt scheint und Maria, die als Holzskulptur vor dem Fensterbild auf einem Wurzelstock sitzt, mit göttlichem Leben erfüllt. Ein gelblich schimmernder Spross ist im Glasbild zu erkennen, der scheinbar aus dem Wurzelstock Marias sprießt und die Geburt Jesu ankündigt. Die folgenden schwarzen vertikalen Linien im Glas interpretieren Betrachter unterschiedlich: Hier verbinden sich Himmel und Erde. Mancher erkennt in ihnen aber auch die Bäume rings um den Wallfahrtsort Maria Eich. Hinter dem Altar, in der Bildmitte, klingt das Todes- und Auferstehungsgeschehen an. Die große graue Fläche steht für den Vorhang im Tempel. Ein Riss zerteilt sie, es fällt daneben der Blick auf die zerklüftete, gebrochene Weltkugel, die für das Leid steht und auf den Erlösertod verweist. Zum Pfingstgeschehen auf der rechten Seite wird das Glasbild transparenter, die Themen Erneuerung und Hoffnung klingen an.

Manchen Besuchern ist die Darstellung zu abstrakt, hat Pater Matthäus festgestellt. Doch dann betrachtet er das Fensterbild gemeinsam mit ihnen und führt sie Fläche für Fläche, Linie für Linie und Farbe für Farbe durch das Bild. Und dann wird plötzlich alles klarer, der Besucher erkennt eine Verbindung zu seinen eigenen Lebensthemen. Der zarte Spross etwa, der aus dem Wurzelstock wächst, "das berührt viele Besucher". Es inspiriere sie, Hoffnung zu haben. Für Pater Matthäus stehen die zum rechten Bildrand verlaufenden Linien beim Pfingstgeschehen auch für ausgebreitete, empfangsbereite Arme, die als Auftrag zu verstehen sind, sich nicht zu verschließen, sondern offen zu bleiben.

Vor allem die verwundete Weltkugel in der Darstellung hole die Heilsgeschichte ins Hier und Jetzt. "Die Welt ist erlösungsbedürftig", das sei hochaktuell, das empfinden auch die Besucher so. "Das ist", sagt Pater Matthäus, "der Sinn sakraler Räume": Zu spüren, wie die Heilsgeschichte mit dem eigenen Leben zusammenhängt. In der Wallfahrtskirche ist es die ganz besondere Fenstergestaltung, die diese Verbindung schafft.

Auch die dem Altarbild gegenüberliegende Fensterfront in der Kirche wurde von Johannes Schreiter gestaltet. Schwarze Linien ziehen sich durch das milchig-weiße Glas wie Risse. Sie haben Brüche, verästeln sich, manche fügen sich zu Kreisen. Für Pater Matthäus sind es die Lebenslinien der Kirchenbesucher. Wenn er bei der Predigt hinter dem Altar steht, hat er sie immer im Blick, die Fensterlinien, die nicht immer geradlinig verlaufenden Lebenswege, die sich auch mal im Kreis drehen. In Maria Eich haben sie Platz, der Besucher findet sich hier wieder, sagt der Pater. Irdisches und Göttliches verbinden sich nicht nur im Glasbild, diese Verbindung ist für Pater Matthäus am Wallfahrtsort Maria Eich immer spürbar.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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