Geschäfte in Berg:Wie im eigenen Wohnzimmer

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Buchhandlung und Post sind umgezogen: Dini Kortman-Huizing ist mit ihrem Laden "Schöner Lesen" im Interieurgeschäft "Valerie's Joy of Living" untergekommen. Um Briefe und Pakete kümmert sich Thomas Heymann im Flohmarktladen "Alte Liebe".

Von Sabine Bader, Berg am Starnberger See

Wer in Berg an der Kreuzung Percha-/Grafstraße steht, entdeckt es sofort: Die Buchhandlung und die Post sind weg. Die gute Nachricht aber: Beide gibt es noch in Berg. Die Kunden finden die Postagentur jetzt am Anfang der Schatzlgasse im Flohmarktladen "Alte Liebe" von Thomas Heymann. Dini Kortman-Huizing ist mit ihrer Buchhandlung "Schöner Lesen" ins Interieurgeschäft "Valerie's Joy of Living" von Valerie Negges im Alten Brauhaus an der Perchastraße umgezogen. In den früheren Post- und Buchladen-Räumen soll Anfang Dezember ein Tagescafé eröffnen. Derzeit werden sie noch renoviert.

Schatzlgasse 4

Mit Kuriositäten aller Art kann man Thomas Heymann eine Freude machen. Der 52-Jährige sammelt für sein Leben gern. Und er findet auch immer Besonderheiten. "Anderen Leuten geht es sicher ähnlich", hat er sich gedacht, und darum ein Konzept für einen ganz speziellen Secondhandladen entwickelt. Vor einigen Monaten hat er dafür in der Berger Schatzlgasse einen 250 Quadratmeter großen Laden angemietet. Einst war darin ein Supermarkt untergebracht. Später zog eine Schlecker-Filiale ein und danach ein Lederwarenhandel. Heute ist alles frisch gestrichen und renoviert. Heymann wollte es so "schön und gemütlich haben, wie im eigenen Wohnzimmer". Darum stehen in der Mitte des Ladens auch ein Sofa wie aus Omas Wohnstube und zwei historische Hemdenvitrinen aus Kaufhäusern, in denen heute statt Hemden Schmuckstücke auf neue Besitzer warten. Heymann setzt auf Blickfänge: eine blaue Gitarre oder eine in knalligem Rosa. Ein Kopf, der aussieht, als sei er aus den wilden Zwanzigerjahren in Berlin. Oder der Oberkörper einer Schaufensterpuppe mit bunten Haaren und Kussmund.

Doch Heymann will nicht nur Eigenes verkaufen. Auch andere Leute dürfen in seinem Laden ihr Hab und Gut feilbieten. Dafür hat er sich ein Mietmodell einfallen lassen: Wer etwas aus seiner Wohnstube unter die Leute bringen will, der kann sich spielsweise ein Regalbrett mieten (15 Euro pro Woche). Der Kleiderbügel oder der Vitrinenplatz kostet zwei Euro Miete in der Woche. Und wer gleich eine komplette Kleiderstange mit 40 Bügeln mit seinen Gewändern bestücken möchte, muss 39 Euro in der Woche investieren. Die Preise für die Gegenstände legt der Verkäufer fest, Heymann kassiert keine Prozente, sondern die Miete für Bügel und Regale. Er glaubt, dass sich das Ganze rechnet, denn die Kundenfrequenz im Laden ist schon allein wegen der Postagentur recht hoch. "Im Monat sind es schon an die 3000 Kunden, die hier hereinkommen", sagt er. Und viele von ihnen durchstreifen nach der Brief- oder Päckchenabgabe den Secondhandladen.

Bücher und Möbel gibt es bei Dini Kortman-Huizing,Valerie Negges und Gabi Frieß (v.l.). (Foto: Nila Thiel)

Heymann betreibt die Postagentur mit den beiden früheren Postangestellten. Eine von ihnen ist Claudia Leitner aus Höhenrain. Sie war 13 Jahre bei der Post angestellt. Das Unternehmen hatte den beiden Frauen vier Wochen vor dem Umzug in die Schatzlgasse überraschend gekündigt. Das Kündigungsschreiben erreichte Leitner an einem Samstag per Einschreiben und Einwurf. "Da war ich schon enttäuscht", sagt sie. Schließlich habe sie sich nichts zuschulden kommen lassen. Im Laden Heymanns fühlt sich Claudia Leitner sehr wohl. "Es ist eine Abwechslung, nicht ausschließlich Post-, sondern auch Secondhandkunden zu bedienen", sagt die 45-Jährige. Die Postkunden können sich jetzt über längere Öffnungszeiten freuen: Laden und Post sind werktags zwischen 9.30 und 18.30 Uhr durchgehend geöffnet und am Samstag von 9.30 bis 14 Uhr.

Perchastraße 7

Dini Kortman-Huizing ist hochzufrieden mit ihrer Entscheidung. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ihre Buchhandlung an einen Nachfolger zu übergeben. Nicht, weil sie keine Lust mehr auf den Job hat. Im Gegenteil: Er macht ihr nach wie vor Spaß. Aber ihre erwachsenen Töchter leben beide in Berlin, haben eigene Kinder und stehen ihrerseits voll im Beruf. Die beiden wären natürlich froh, wenn die Oma zeitlich flexibler wäre und öfter bei ihnen und den drei Enkeln sein könnte. Das konnte Dini Kortman-Huizing bisher nicht, auch wenn sie es sehr gerne gewollt hätte. Denn sie musste morgens pünktlich ihre Buchhandlung aufsperren. Jetzt ist das anders. Denn seit sie zu Valerie Negges ins Alte Brauhaus an der Perchastraße gezogen ist, ist sie zeitlich flexibler und kann auch mal ein paar Tage weg. Und was hinzukommt: "Das Ambiente ist hier einfach super", freut sich die 60-Jährige. Denn im Interieurgeschäft "Valerie's Joy of Living" ist es gemütlich. Da steht dann auch gleich eine bequeme Liege am gemeinsamen Eingang, auf der die Buchhandlungskunden gemütlich schmökern können. "Wir wollen die ganze Einrichtung im Laden noch mehr mischen", sagen die beiden Frauen. Damit man sich im Laden fühle wie im eigenen Wohnzimmer.

Seit sechs Jahren gibt es das Interieurgeschäft von Valerie Negges im Alten Brauhaus. Negges hat 16 Jahre in New York gelebt und dort Innendekoration gelernt. Sie weiß, wie wichtig es ist, sich in den eigenen vier Wänden wohl zu fühlen. Wer den Laden an der Perchastraße betritt, der sieht es gleich: Kaufhausmobiliar gibt es hier nicht. Die Gegenstände sind so drapiert, dass Spannungsfelder zwischen neuem und altem Mobiliar entstehen: ein modernes Sofa neben einem historischen Schrank. "Erst durch Farben, Licht und Möbel nimmt ein Raum seine eigene Gestalt an", sagt Negges. Um die Gestaltung beurteilen zu können, sieht sich die 48-Jährige die Räumlichkeiten ihrer Kunden gern auch an Ort und Stelle an und vereinbart mit ihnen Beratungs- und Planungstermine. Negges hilft ihren Kunden auch mal bei der Farb- und Materialauswahl der Einrichtung und gibt Tipps zu deren Platzierung.

Gebrauchtes, Briefmarken und mehr bei Thomas Heymann und Claudia Leitner. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Jetzt machen die beiden Frauen Pläne, wie sie Mobiliar und Bücher im Laden noch besser und wohnlicher platzieren können. "Das Ganze ist für uns eine Win-win-Situation", da sind sich die beiden sicher.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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