Brauchtum:Von Ochsenkarren und Pappnasen

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Luis Ruschig, Lorenz Wastian, Hannes Göschl, Patrick Fromm und Valentin Fink (von links) von der Faschingsjugend sind guter Hoffnung, dass sich die nächtlichen Überstunden lohnen werden. (Foto: Nila Thiel)

Seit etwa 100 Jahren organisieren die Burschen in Unterbrunn den Umzug am Faschingsdienstag. Über ein Dorfprojekt zwischen Tradition und Evolution.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Gauting

Einmal brach ein Orkan über Unterbrunn herein und wehte die Dekorationen weg. Innerhalb von zwei Minuten wurde der Panzer-Aufbau am Faschingswagen fortgeschleudert, die selbstgebastelte Kritik am Golfkrieg Anfang der Neunzigerjahre war hinfort. Ein andermal zog ein Wagen mit einer aufgebauten Skipiste vorbei. Bei jedem Stopp fuhr ein maskierter Skifahrer über die Rampe nach unten: durch Unterbrunn im Tiefflug, gewissermaßen.

Bereits seit etwa 100 Jahren ziehen Narren durch den beschaulichen 770-Seelen-Ortsteil von Gauting. Da werden Bürgermeister parodiert, aber auch die große Politik aufs Korn genommen. Während die Dorfbewohner dieser Tage in den heimlichen Vorbereitungen zum Umzug am Dienstag stecken, lohnt sich ein Abstecher in den Fasching von früher.

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Und damit zu Hermann Geiger. Er ist einer der sogenannten Altburschen im Ort und nimmt seit mehr als 50 Jahren mit einem eigenen Wagen am Umzug teil. Was er dieses Jahr in petto hat, wird natürlich nicht verraten. Aber auf seinem Anwesen im Süden Unterbrunns öffnet er inmitten seines riesigen Sammlermuseums, in dem er Fundstücke aus der Region aufbewahrt, ein Fotobuch mit historischen Bildern.

Er deutet auf ein Foto aus den Zwanzigerjahren: Damals wurden die Wagen noch von Ochsen gezogen. Die meisten Fotos stammen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als die ersten Fotoapparate aufkamen, mit denen die Zuschauer ihre Erinnerungen festhalten konnten.

1954 geht es noch über eine ungeteerte Straße. (Foto: Repro: Nila Thiel)
Männer klebten sich falsche Schnauzer auf. (Foto: Repro: Nila Thiel)
Und andere eine Pappnase. (Foto: Repro: Nila Thiel)

Da sind zwei Männer zu sehen, die einen langen Wagen auf einem Traktor ziehen, ganz ohne Kunst oder Parodien. Andere fahren mit Regenschirm und aufgeklebtem Schnurrbart lachend durch den Ort. Mit aufgeklebten Nasen, Hüten und Männern in Frauenkleidern posiert der damalige Gesangsverein vor der Kamera. 1954 sind diese drei Motive erstanden, keine zehn Jahre nach dem Krieg. Der Bundeskanzler hieß Konrad Adenauer; Deutschland war kurz davor, Weltmeister werden.

"Damals war es noch kein solches Remmidemmi wie heute", sagt Geiger. Aber schon früher sei nicht mit Kritik gespart worden, es habe "richtig scharfe Wagen" gegeben. Das zieht sich bis heute durch: Die Unterbrunner karikieren Themen wie den Bauwahn ("Erholst du dich noch oder baust du schon"), die Bürokratie ("Für jeden Mist brauchst a Eskorte"), die Befindlichkeiten der heutigen Elternschaft ("Schneefrei - 30cm überfordern so manche Schülermutti") und Söders Weltall-Prestigeprojekt "Bavaria One".

Der Strohwagen als Begleitschutz - Security im Jahr 2019. (Foto: Arlet Ulfers)
Schulausfall im bayerischen Winter wegen Schnees? Das gefällt nicht jedem. (Foto: Arlet Ulfers)
"Völlig losgelöst", ätzten die Unterbrunner über Söders Weltallprojekt "Bavaria One". (Foto: Arlet Ulfers)

Den Politikern werde etwas hin gewischt, "aber nicht böse", betont Geiger. Es sei schließlich Fasching. "Und der Fasching ist lustig, da darf niemand verletzt werden." Ähnlich sieht es der Zeugwart der Unterbrunner Burschen, Martin Fink. "Es ist kein Party-Umzug wie anderswo. Die Leute müssen damit rechnen, dass man sie aufs Korn nimmt und Witze über sie reißt."

Hermann Geiger ist einer der Altburschen. Seit mehr als 50 Jahren nimmt er mit eigenem Wagen am Umzug teil. (Foto: Nila Thiel)
Im vergangenen Jahr erklärte Hermann Geiger seinen Wagen zur rettenden Arche Noah, ein Seitenhieb gegen die Hochwasserschutz-Diskussionen. (Foto: Georgine Treybal)

Im vergangenen Jahr nahm Geiger die Diskussion zum Hochwasserschutz auf und schmückte seinen Wagen als rettende Arche Noah. Ein böses Nachspiel gab es auch da nicht, obwohl er jedes Jahr kommunalpolitische Themen wählt. Und so bleibt Unterbrunn der Ort, an dem die Meinungs- und Kunstfreiheit zum Faschingsdienstag stets frei ausgelebt wird. Hier, wo sie Wert darauf legen, dass der Spott auf die lustige Art ausgetragen wird.

Wie eine Kabarettbühne sei das Ganze, sagt Geiger; Fink sieht es als "ein Theaterstück". Auf jeden der 12 bis 15 Wagen wird von drei bis vier Leuten auf dem Wagen ein Sketch gespielt und die Zuschauer unten einbezogen. Einige der Aktiven schlüpften auch in die Maske von bekannten Personen. Im vergangenen Jahr war die Gautinger Bürgermeisterin Brigitte Kössinger dem Spott der Unterbrunner ausgesetzt.

Der Unterbrunner Faschingsumzug ist und bleibt ein Dorfprojekt. Schon die Jüngsten werden einbezogen, indem sie die Schilder vom vergangenen Jahr weiß überstreichen, um für neue Themen Platz zu schaffen. "Es ist keine Frage des Alters. Ich bin Opa und darf auch dabei sein", sagt Geiger.

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: Bis zur letzten Minute hüten die Burschen ihre Wagen vor der Öffentlichkeit. (Foto: Nila Thiel)

Die Fäden laufen stets bei der Burschenschaft zusammen. Wie Wächter stehen die Burschen am Samstag vor ihrer Halle. Dahinter ein Traktor, das Brett vorne dran ist noch weiß, das Motto steht noch nicht ganz fest. Mal reingucken, was schon in der Mache ist? Da besteht keine Chance. Hier wird just in time gearbeitet: Erst am Dienstagvormittag soll der Wagen geschmückt werden, schließlich könne sich bis dahin im politischen Geschehen noch viel ändern. Kein Anlass für großen Stress, drei Tage vor dem Umzug.

Bereits vor zwei Wochen haben sich die Burschen zusammengesetzt und eine Themenliste erstellt. Was sich da tummelt, darüber legen sie den Mantel des Schweigens. Die Dramaturgie des Umzugs möchte hier keiner vorwegnehmen, bis zur letzten Minute soll es spannend bleiben. "Deshalb werden die Themen nicht verraten", sagt Patrick Fromm.

Nicht nur zur fünften Jahreszeit gilt hier das Credo der Verschwiegenheit. Auch zum Maibaum-Klau werden keine handwerklichen Tricks verraten. Aus gutem Grund: Die Unterbrunner Burschen sind bekannt als die erfolgreichsten Maibaumdiebe im Großraum München. Tradition zahlt sich eben aus, so auch beim Faschingsumzug. Für dessen Organisation haben die Burschen im vergangenen Jahr den Günther-Klinge-Preis der Gemeinde Gauting erhalten.

Insgesamt 14 Wagen werden heuer erwartet, als eines der Highlights gilt traditionell der von Sammler Hermann Geiger. Welchen kommunalpolitischen Sturm er diesmal entfacht? Immerhin, ein meteorologischer scheint ausgeschlossen: Für den Dienstagnachmittag werden acht Grad, ein Sonne-Wolken-Mix und ein leichter Wind von neun Stundenkilometern erwartet.

Der Unterbrunner Faschingsumzug findet am Dienstag, 13. Februar, von 14 bis 15.30 Uhr statt und geht nahtlos in einen Umtrunk bei der Freiwilligen Feuerwehr über. Anschließend findet der Kehraus in der Mehrzweckhalle statt.

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