Gauting:"Die Geflüchteten wissen nicht, was sie erwartet"

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Sie diskutierten im Gautinger Kino Breitwand über die Flüchtlingspolitik der EU und den Krieg in der Ukraine: Die belarussische Menschenrechtsaktivistin Olga Karach (rechts) und Heidi Meinzolt von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Kino Breitwand zeigt den Film "Green Border". Die bekannte Menschenrechtsaktivistin Olga Karach ist zu Gast und schildert dem Publikum die dramatische Lage an der polnisch-belarussischen Grenze.

Von Fabiane Houben und Dario Weber, Gauting

Unter dem Tenor "Zeitenwende - auch für Frieden und Menschenrechte? Was geht uns das an?" hat das Kino Breitwand in Gauting am Aschermittwoch den preisgekrönten Film "Green Border" von Agnieszka Holland gezeigt. Mit dem zweieinhalbstündigen Streifen wird die Migrationskrise an Polens Grenzen thematisiert. Mit dabei war auch die international bekannte Menschenrechtsaktivistin aus Belarus, Olga Karach. Sie sprach engagiert über ihre anspruchsvolle Arbeit und die prekären Verhältnisse in ihrer Heimat.

Im Kinosaal 2 sitzen um die 30, vorwiegend ältere Besucher, um noch vor der Filmvorführung nicht nur Olga Karach, sondern auch Heidi Meinzolt zuzuhören. Sie ist internationale Vertreterin der deutschen Sektion bei der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit ( IFFF). Meinzolt übersetzt vorwiegend für Karach. Das Land sei in den festen Händen des Diktators Alexander Lukaschenko, der jegliche Macht bei sich konzentriert habe. Sie erzählt, wie die Menschen dort jegliche Rechte verloren hätten, sodass sogar Beamte des Staates die Scheidung einfordern könnten, wenn sie mit dem Partner nicht zufrieden seien. Bei Widerstand könne auch gedroht werden, die Kinder willkürlich zu entziehen.

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Ähnlich wie in Russland - ein wichtiger Verbündeter von Belarus - werden Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten zensiert und verfolgt. So musste auch Olga Karach fliehen, da sie in ihrem Heimatland als Staatsfeindin gilt und ihr aufgrund ihres Engagements sogar die Todesstrafe droht.

Mit diesen Erläuterungen startete dann auch der Film: Er veranschaulicht eine unbekanntere,doch nicht minder wichtige geopolitische Krise, die sich an den Grenzen zwischen Polen und Belarus abspielt - wo nämlich Geflüchtete aus dem Nahen Osten und Afrika versuchen, die Europäische Union zu erreichen. Mithilfe von Propaganda, die einen vermeintlich leichten Übergang in die EU verspricht, lockt Lukaschenko Geflüchtete an die Grenze und schleust sie nach Polen, um die Europäische Union zu provozieren und unter Druck zu setzen.

Im Film wird die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze aus verschieden Perspektiven beleuchtet. Zu Beginn verfolgt der Zuschauer die Handlung aus der Sicht einer syrischen Familie und einer Afghanin, die versuchen, über die Grenze in die EU zu gelangen. Später kreuzen sich ihre Wege mit einem jungen Grenzschutzbeamten und einer humanitären Aktivistin.

Die eigentliche Lage sei noch schlimmer, sagt die Aktivistin

Nach dem Film lädt die Gruppe um Olga Karach und Heidi Meinzolt ein, im Café Lumbono in Stockdorf über den Film zu reflektieren. Dort spricht die SZ mit der 45-jährigen Aktivistin aus Belarus darüber, wie sie aus ihrer Perspektive den Film erlebt hat. Die Bilder zeigten den gewalttätigen und menschenrechtsverachtenden Umgang mit den Geflüchteten zwar sehr deutlich, jedoch sei die eigentliche Lage vor Ort noch schlimmer, so Karach. "Die Geflüchteten wissen nicht, was sie erwartet", erklärt sie.

Karach findet es wichtig, dass "Green Border" auch in München gezeigt wird. Denn mittlerweile werde aus ihrer Sicht über die Situation an der belarussischen Grenze zu wenig berichtet. Sie will, dass Lukaschenkos rücksichtsloser Umgang mit den Menschen nicht weiter toleriert wird und nicht in Vergessenheit gerät.

Während des Gespräches erzählt Olga Karach auch von der von ihr gegründeten Organisation "Nash Dom - unser Haus". Diese engagiert sich für die Wahrung von Menschenrechten und Frieden. Zuerst lag ihr Schwerpunkt darauf, unter anderem sichere Kinderspielplätze zu schaffen, nun hat sich der Fokus auf die Menschenrechtsarbeit verlagert. So gibt es innerhalb der Organisation verschiedene Kampagnen, die sich gegen Drohungen und Gewalt an Frauen einsetzen, sowie die Einrichtung einer Hotline für die Unterstützung von Opfern.

Die Aktivistin glaubt an Frieden

Seit August 2020 hat die Kampagne mit anderen Menschenrechtsorganisationen in Litauen, Polen und Lettland aktiv am Aufbau eines humanitären Korridors mitgewirkt. Olga Karach hilft gemeinsam mit ihrer Organisation auch ukrainischen Flüchtlingen in Litauen und Polen, indem sie mithilfe von anderen Aktivisten Lager für humanitäre Hilfe, wie beispielsweise in Warschau eingerichtet hat. Seit Kriegsbeginn haben mehr als 10 000 ukrainische Flüchtlinge Lebensmittel, Medikamente, Kleidung und Hygieneartikel erhalten.

Überdies setzt sie sich für Kriegsdienstverweigerer ein, die es aus pazifistischen Gründen ablehnen, an russischer Seite in den Krieg gegen die Ukraine einzutreten. Aufgrund ihres Engagements wird sie in Belarus als Bedrohung für die nationale Sicherheit angesehen und lebt unter schwierigen Bedingungen gemeinsam mit ihrer Familie im Exil in Litauen.

Olga Karach glaubt an Frieden und ist überzeugt davon, dass es zentral sei, diesen Weg gewaltfrei zu bestreiten. Es ist ihr ein besonderes Anliegen, sich weiterhin für Menschenrechte starkzumachen. So kann man sie auch als Sprecherin auf der Münchner Friedenskonferenz an diesem Freitag, den 16. Februar um 16 Uhr antreffen.

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