Forschung:Mit den Gänsen fing alles an

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Mit dem Nobelpreisträger Konrad Lorenz kommt auch Irenäus Eibl-Eibesfeldt nach Seewiesen. Dort begründet er nicht nur eine neue Wissenschaftsdisziplin. Er lebt und arbeitet hier wie in einer Wohngemeinschaft.

Von Astrid Becker, Seewiesen

Der kleine, aber idyllische Ess-See glitzert im Sonnenschein. Und wohl kaum ein Besucher des Max-Planck-Instituts in Seewiesen kommt an warmen Tagen umhin, sich zu fragen, ob die ansässigen Wissenschaftler nicht wenigstens ab und zu in das Gewässer springen. So, wie es einst, in den Fünfzigern, der berühmte Nobelpreisträger Konrad Lorenz tat, dessen Graugänse sich damals noch auf dem Gewässer tummelten. Oder wahrscheinlich auch der am Samstag mit fast 90 Jahren gestorbene Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der viele Jahre als Assistent von Lorenz gearbeitet hatte, ehe er sich der Humanethologie zuwandte.

Konrad Lorenz fand am Ess-See einen geeigneten Ort für seine Forschungen an Graugänsen und Co. (Foto: DPA)

Wie eine Wohngemeinschaft sei Seewiesen damals in seinen Anfängen gewesen, "ein interessantes und geniales Soziotop" hatte Eibl-Eibesfeldt kurz vor seinem 80. Geburtstag vor zehn Jahren in Interviews über diese Zeit gesagt. Tatsächlich wurde in Seewiesen nicht nur geforscht, sondern auch gemeinsam gelebt, gefeiert, getrunken, gelacht und geweint. Doch genau diese Nähe zu den anderen Wissenschaftlern ist ihm dann doch irgendwann zu viel geworden, ihm, dem Mann, der seine Forschungen an Körpersprache und Gruppenbildung 1964 vom Tier auf den Menschen verlagerte. So zumindest hatte es einst der letzte Leiter des Instituts für Verhaltensphysiologie, Wolfgang Wickler, geschildert, wenn es um die Frage ging, warum Irenäus Eibl-Eibesfeldt den Schwerpunkt seines Schaffens von Seewiesen auf die seit 1959 bestehende "Außenstelle" des Instituts, im Wieninger Schlösschen im Andechser Ortsteil Erling verlagerte. Dort hatte zunächst der Chronobiologe Jürgen Aschoff die innere Uhr des Menschen erforscht. Über viele Jahre hinweg ließen sich dafür etwa 500 Probanden freiwillig in einen Bunker einschließen, vollkommen abgeschirmt von der Außenwelt. Auch Aschoff hatte sich also den Menschen gewidmet. Vorausgegangen waren diesen Forschungen Erkenntnisse aus dem Max-Planck-Institut für Meeresbiologie in Wilhelmshaven, wo der Vogelflug untersucht wurde, der sich ganz der Bewegung der Sonne anpasst. Vielleicht war der Umzug nach Andechs in den Achtzigern für Eibl-Eibesfeldt aber auch einfach nur eine logische Konsequenz. Immerhin widmete er sich - auf tierischem Gebiet - vielen maritimen Lebewesen, ehe er sich dem Menschen zuwandte.

Bereits 1950 hatte Eibl-Eibesfeldt für Konrad Lorenz gearbeitet, damals an dessen privaten Institut für Verhaltensforschung im niederösterreichischen Altenberg. Mit Lorenz wechselte Eibl-Eibesfeldt zum Institut für Verhaltensphysiologie, das zunächst im westfälischen Schloss Buldern untergebracht war, von 1957 an dann in Seewiesen. Also dort, wo Lorenz ideale Bedingungen für seine Forschungen an Graugänsen und Co. schon allein durch den Ess-See vorgefunden hatte.

Mittlerweile wird dort Grundlagenforschung betrieben - unter anderem in einem Windkanal. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Noch heute gibt es dort ein Büro mit Eibl-Eibesfeldts Namen. Er hatte unter anderem die Putzsymbiosen von Riffbarschen und das Turnierverhalten der Meerechsen entdeckt sowie das Verhalten des Putzerlippfisches und seines Nachahmers Aspidontus taeniatus beschrieben. Gleich zweimal, 1953-1954 sowie 1957, nahm er an Expeditionen auf die Galápagos-Inseln teill und setzte sich massiv für deren Schutz ein. In dieser Zeit und auf seinen Reisen wuchs sein Interesse am menschlichen Verhalten. Von 1964 an widmete er sich der Frage, inwieweit sich Erkenntnisse aus der tierischen Verhaltensforschung auf den Menschen übertragen lassen. Seinen Schwerpunkt richtete er dabei auf nonverbale Kommunikation. So reiste er häufig nach Afrika, Südamerika und Ostasien und dokumentierte in vielen Filmen Mimik und Lebensweise verschiedener Ethnien. 1970 wurde er Leiter seiner eigenen Forschungsstelle. Bis 2014 war sein Archiv noch in Andechs untergebracht und wurde, nachdem die Gesellschaft beschlossen hatte, den Standort aufzugeben, nach Frankfurt in die Senckenberg-Gesellschaft gebracht.

Auch das Institut für Verhaltensphysiologie gibt es seit 2003 in Seewiesen so nicht mehr. Mittlerweile heißt es "Institut für Ornithologie". Die Forscher betreiben dort Grundlagenforschung in Neurobiologie, Verhaltensökologie, Evolutionsbiologie und Tierwanderungen - unter anderem in einem Windkanal, mit dem sie das Flugverhalten von Vögeln untersuchen. Sie haben herausgefunden, dass Vögel auf ihren Zügen gen Süden schlafen. Oder entdeckt, dass in monogamen Systemen ein passender Partner wichtiger ist als ein gutaussehender. Oder dass männliche Graubruststrandläufer Tausende Kilometer durch die Arktis fliegen, um ihre Fortpflanzungschancen zu erhöhen.

Zeit zum Baden im Ess-See - wie ihren Vorgängern - bleibt den Wissenschaftlern heutzutage bei all diesen Untersuchungen aber wohl eher weniger. Auch Graugänse sind dort kaum zu sehen. Sie tummeln sich mittlerweile wohl mehr auf dem Ammersee. Dafür gibt es noch jede Menge Zebrafinken und Kanarienvögel, die das Institut in großen Volieren hält.

© SZ vom 05.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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