Flüchtlinge:Tutzinger Willkommenskultur

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Kümmert sich um die Flüchtlinge und ihre Kinder: Angelika Pfaffendorf mit Kindern im Spielzimmer des Roncallihauses. (Foto: Georgine Treybal)

Sie geben Sprachunterricht, sie kümmern sich um Jobs, sie zeigen, wie Deutschland tickt: 30 Helfer und Unterstützer kümmern sich in der Gemeinde um die Flüchtlinge und können auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.

Von Gerhard Summer, Tutzing

Ressentiments? Klar, jeder hat Vorurteile, gut gepflegt, schlecht versteckt oder mühsam bemäntelt. Sogar Törkân Antoni geht es so, dabei gehört sie einem Kreis von Freiwilligen an, die Asylbewerbern in Tutzing helfen. Ja, auch sie sei voreingenommen, wenn sie von ihrer Schwiegermutter höre, wie sich Flüchtlinge andernorts daneben benehmen, zu spät zum Sprachunterricht kommen oder die Kücheneinrichtung verhunzen. Man müsse ihnen klar sagen, "ihr seid Gäste, und Gäste müssen sich auch anständig benehmen". Von wegen "Sozialromantik"!

Heiner Haack hat sich letzthin Werkzeug geholt und mit einem Asylbewerber das Gelände rund um den Andechser Hof aufgeräumt. Denn er weiß: "Wenn die den ganzen Tag nur rumhängen müssen, das ist schlimm." "Als nächstes werden wir die Fenster putzen", sagt Haack, da sei dicker Staub drauf. Und ja, er denke, "dass das für positive Akzeptanz sorgt", denn es gebe nun mal eine Stimmung in der Bevölkerung, die besage: "Illegale Einwanderer gehen uns hier gerade noch ab."

Muss einem deshalb bange sein? Weil eine deutsche Türkin zugibt, Ressentiments zu haben? Eine 40-Jährige aus Stuttgart, eine gebürtige Deutsche mit türkischen Eltern und "Migrationsvordergrund", wie sie sagt und dabei lachend auf ihr Gesicht zeigt. Weil ein Tutzinger den Fremden mit deutscher Sauberkeit weiterhelfen will und dabei immer von "Asylanten" spricht? Offenbar weil er nicht weiß, dass dieses Wort viel abwertender klingt als das neutrale Asylbewerber. Nein, wahrscheinlich sind die beiden nur ehrlich. Und vielleicht ist es einfach so, dass jeder in diesem Kreis seine eigene Art hat, mit Fremden umzugehen, auch wenn einem diese Methode ein wenig merkwürdig vorkommen mag.

Ein Nachmittag im Tutzinger Roncallihaus. Sieben Leute sitzen am Tisch. Darunter sind Törkân Antoni, Heiner Haack, Angelika Pfaffendorf, "Mädchen für alles" in der Gruppe, der katholische Pfarrer Peter Brummer, der Miterfinder dieses Unterstützerkreises, und Rainer Lorenz vom Landratsamt. Das ist also ein Teil der 30-köpfigen Gruppe, die öffentlich in den höchsten Tönen gelobt worden ist. Brummer selbst hatte erklärt, er sehe mit "größtem Respekt", was da geleistet werde. Und Bürgermeister Rudolf Krug meinte, in Tutzing hätten die Flüchtlinge "Namen, Würde und sind integriert", das sei eine "phantastische Geschichte". Tatsächlich ist es für Antoni, Pfaffendorf, Heide Goller oder Roswitha Goslich gar nicht so einfach, die Balance zu halten. Denn die Asylbewerber "wachsen uns ans Herz", wie Pfaffendorf meint. Goller erinnert sich daran, wie ihr Wohnzimmerteppich schon zum Gebetsteppich geworden ist. Einige der Flüchtlinge gehen bei ihr ein und aus, darunter auch Michael Kyejjusa aus Uganda, der durch seine Wahl zum Mister Tutzing Schlagzeilen gemacht hat. Andererseits soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Asylbewerber verwöhnt werden, das könnte als Ungerechtigkeit gegenüber der heimischen Bevölkerung interpretiert werden, sagt Goslich. Deshalb sei es gut, dass die Helfer wie ein Regulativ wirkten.

Jeder in der Gruppe hat seine Aufgabe. Der eine kümmert sich um die Kinder, der andere ist für Feste und Feiern zuständig. Einer gibt den Pressereferenten. Einer koordiniert die derzeit 13 Lehrer, die den Asylbewerbern Deutschunterricht erteilen. Antoni ist als Muslima für die Syrer zuständig, sie sei ein "Geschenk des Himmels", sagt Brummer. Ihr ist es wichtig, dass die Menschen ihre Identität bewahren, dass ihnen nichts übergestülpt wird ,sagt Antoni. Sie habe deshalb vor Weihnachten mit den Menschen gesprochen und betont, die Geburt Jesu zu feiern, das sei lediglich ein Angebot. Nein, sie seien "liebend gerne" dabei, hätten ihr die Syrer geantwortet, gebildete Leute wohlgemerkt, die sich für Kultur, Religion und Sprache interessieren.

Derzeit leben 47 Asylbewerber in der Gemeinde, im ganzen Landkreis Starnberg etwa 400. In Tutzing sind die Menschen in den Ortsteilen Kampberg und Traubing sowie an der Zugspitzstraße und im Nebengebäude des Andechser Hofs untergebracht. Mitte Januar soll ein weiteres Quartier dazukommen: ein Gästehaus des Klosters. Die Menschen stammen aus Westafrika, Uganda, Eritrea, Syrien, Afghanistan, Nigeria, Sierra Leone und dem Senegal, sie haben zum Teil abenteuerliche Wege hinter sich. Goslich erinnert sich an einen Flüchtling aus Tansania, der zu Fuß von Land zu Land marschiert ist und viermal zurückgeschickt wurde, bis er nach Spanien kam, dort als Hafenarbeiter anheuerte und schließlich in Deutschland landete.

Die Anfänge des Unterstützerkreises liegen fast drei Jahre zurück. Als die ersten Menschen aus afrikanischen Ländern nach Tutzing kamen, nahmen die Pfarrer der evangelischen und katholischen Kirche, Ulrike Wilhelm und Peter Brummer, Kontakt mit ihnen auf. Und stellten fest, dass es wichtig wäre, eine ökumenische Helfergruppe aus der Taufe zu heben. Bei der Gründung im April 2012 fanden sich acht Freiwillige ein, heute ist der Kreis auf etwa 30 Leute gewachsen. Seit Januar 2013 gehört auch Rainer Lorenz dem Team an, das zu gut 60 Prozent aus Rentnern besteht. Lorenz ist einer der vier hauptamtlichen Asylbetreuer des Landratsamts Starnberg, die sich mit zwei Verwaltungskräften und Hausmeistern um die Akquise und Instandhaltung der Unterkünfte kümmern. Sie sind für juristische Fragen genauso wie für die nicht funktionierende Heizung zuständig. Und sie arbeiten mit den Helferkreisen zusammen, die sich in allen Kommunen mit Asylbewerbern gebildet haben, ob in Gilching, Gauting, Starnberg, Wörthsee, Herrsching oder Andechs. Wobei gilt: Ohne Helfer "wäre es nicht zu machen", wie Lorenz sagt. Und ohne Landratsamt auch nicht, so die Tutzinger.

Asylbewerbern zur Seite zu stehen - das hat viel mit Organisation und Absprache zu tun. Die Helfer kümmern sich um die Ausstattung der Unterkünfte mit Geschirr, Bettzeug und Kinderbetten. Es gibt einen eigenen Plan, wann welches Kind zu betreuen ist, wenn seine Mutter gerade im Roncallihaus oder im evangelischen Kindergarten Deutsch lernt. Und die Tutzinger begleiten die Neuankömmlinge erst mal zum Arzt oder zu Behörden und schreiben Bewerbungen. Flüchtlinge dürfen nämlich neuerdings schon nach drei Monaten im Land arbeiten, drei Tutzinger Asylbewerber beispielsweise machen derzeit Lehren bei einem Installationsbetrieb, einem Bootsbauer und einer Gärtnerei.

Auch jeder der Helfer hat seine eigene Geschichte. Haack zum Beispiel lebte lange Zeit in Südamerika, in Buenos Aires. Er hat "am eigenen Leib erfahren, wie es ist, in der Fremde Fuß zu fassen". Pfarrer Brummer ist oft auf dem schwarzen Kontinent gewesen, ihm sei der Kontakt mit Afrikanern wichtig, dazu gehöre auch, diese Menschen anständig zu behandeln. Und Törkân Antoni? Sie hat Probleme, diese zwei Bilder zusammenzubringen: das Deutschland vor 40, 50 Jahren, das ihre Eltern mit "unglaublicher Gastfreundschaft" aufgenommen habe, und das Deutschland von heute mit Pegida-Bewegung und aufkeimendem Fremdenhass. Sie habe sich gedacht, "das kann doch nicht sein". Und sie sei wirklich perplex gewesen, als sie in Tutzing den freiwilligen Helfern begegnete, die "unglaublich engagiert ihre Freizeit, ihre Fähigkeiten und Emotionen da reinstecken".

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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