Flüchtlinge:Nachzug der Familie mit Hindernissen

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Getrübte Freude: Das erste Wiedersehen der Familie Seido nach zwei Jahren ist überschattet von der Frage, wo sie nun wohnen können. (Foto: Arlet Ulfers)

Das Landratsamt Starnberg und die Gemeinde Herrsching demonstrieren am Fall von Syrern die ungeklärte Rechtslage. Landrat Karl Roth fordert vom Sozialministerium eindeutige Regelungen

Von Christiane Bracht, Starnberg

Seit Monaten wird hinter verschlossenen Türen intensiv darüber diskutiert, was geschehen soll, wenn die Familien anerkannter Asylbewerber kommen. Dabei geht es speziell um die Fragen, wer für sie zuständig sein soll und vor allem, wer zahlt? Das Bayerische Sozialministerium arbeitet dem Vernehmen nach fieberhaft an einer Dienstverordnung. Doch ein Ergebnis steht noch immer aus - sehr zum Verdruss des Starnberger Landrats Karl Roth. Seit 10. Mai weiß er, dass die Ausländerbehörde den Nachzug einiger Familien bewilligt hat. Die erste kam vor kurzem. Man brachte sie mehr oder weniger stillschweigend in einer Wohnung des Landkreises in Gilching unter. Am Dienstagnachmittag stand die nächste Großfamilie vor dem Herrschinger Rathaus und wusste nicht wohin. Und eine weitere Familie mit fünf Kindern wird in den nächsten Tagen und Wochen erwartet - ebenfalls in Herrsching.

Bürgermeister Christian Schiller weigerte sich, wie berichtet, die Familie aufzunehmen. Die Gemeinde sei nicht zuständig, das habe nicht nur der Gemeindetag, sondern auch Innenminister Joachim Herrmann bereits im Juni bestätigt, erklärte er. Einer Aufforderung des Landratsamts, dass die Gemeinde die syrische Familie ins Schwesternwohnheim in Breitbrunn einweisen solle, kam er nicht nach. "Wenn ich das gemacht hätte, wären wir automatisch für die Kosten zuständig gewesen", erklärt er der SZ. "Aber ich kann die Steuergelder der Gemeinde nicht hinausschmeißen, wenn wir nicht einmal zuständig sind." Hinzu komme, dass der Landkreis von der Gemeinde wegen der hohen Investitionskosten eine Miete von knapp 20 Euro pro Quadratmeter verlange. Für verarmte Einheimische seien aber maximal sieben Euro pro Quadratmeter als Unterstützung vorgesehen. Schon vor diesem Hintergrund sei eine Übernahme der Kosten schlecht vermittelbar, so Schiller.

Und so wurde die sechsköpfige Familie spät nachmittags per Taxi zum Landratsamt Starnberg chauffiert. Dort zeigte man sich empört über die drastische Vorgehensweise, aber auch verärgert darüber, dass die übergeordneten Behörden und das Sozialministerium die Kommunen im Regen stehen lasse. "Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen", klagte der Landrat. Auch für Einheimische gebe es im Landkreis nicht genug Wohnraum, für die Großfamilien anerkannter Asylbewerber erst recht nicht. Zumal völlig ungeklärt sei, wer zahle. "Ich habe es langsam dick, dass wir um jeden Euro kämpfen müssen", ärgerte sich Roth. Man kämpfe noch immer um das Geld für die Unterbringung der Flüchtlinge. Und nun sei man schon mit dem Thema Familiennachzug konfrontiert. "Wir brauchen Rechtssicherheit", fordert der Landrat. Man warte deshalb dringend auf die DV Asyl, die Durchführungsverordnung, die das Sozialministerium derzeit entwerfe. Dort sollen die offenen Fragen geklärt werden. Wann sie fertig sein wird, ist offen. Seitens des Ministeriums zeigt man sich diesbezüglich sehr schmallippig und verweist in Sachen Zuständigkeit auf eine "Einzelfallprüfung". Bürgermeister Schiller wehrt sich indes: Er habe die Familie nicht ins Taxi gesetzt und das medienwirksame Spektakel auch nicht initiiert. "Ich lege keinen Wert darauf, die Familie, die viel durchgemacht hat, auch noch vorzuführen", sagte er am Mittwoch. Der Landrat habe sie nach Starnberg kommen lassen, betonte er.

Den ganzen Wirbel ausgelöst hat der Asyl-Helferkreis Herrsching - oder zumindest ein Teil davon. In den vergangenen Wochen hatten vor allem die Paten Geld für die Flugtickets nach Deutschland gesammelt, damit die syrische Familie kommen kann. Eine gut gemeinte Aktion. Die Leiterin des Helferkreises, Hannelore Doch, beteuert jedoch, dass sie erst im letzten Moment davon erfahren habe. Sie befürworte das Vorgehen nicht, da dies einen Domino-Effekt nach sich ziehe. Aber die Auffassungen von Helfern sei eben sehr weit gestreut. Sie könne sich schon vorstellen, dass einige Mitleid hatten, weil Ibrahim Seido, der Vater, oft erzählt habe, dass seine Familie in der Türkei untergekommen sei, sich dort aber oft verstecken müsse. Und dass die Kinder nicht zur Schule gehen können, sondern arbeiten müssen, damit sie genug Geld haben. Doch will sie nun im Helferkreis daran erinnern, dass alle daran denken sollten, wo die Familien unterkommen können, bevor man sie nach Deutschland holt. Im Falle Familie Seido hat das Landratsamt noch ein Zimmer mit sechs Betten im Schwesternheim in Breitbrunn gefunden. Doch diese Möglichkeit gibt es sicher nicht für jede Familie.

Überrascht zeigte sich die Patin der Familie Seido offenbar, als Tamara Tirabasso, die stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Asyl, ihr am Dienstag eröffnete, dass sie möglicherweise nun auch für die Familie einkaufen müsse. Ibrahim Seido bat Landrat Karl Roth nämlich um Geld, er habe keins mehr. Außerdem forderte er eine Wohnung. Er habe zwei Jahre im "Camp" gehaust, seiner Familie könne er das nicht antun.

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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