Filmfest:Ernsthaft komisch

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Caroline Links Werk "Der Junge muss an die frische Luft" über Hape Kerkelings Kindheit berührt die Seele der Zuschauer

Von Gerhard Summer, Starnberg

So eine Absage kann auch eine versteckte Zusage sein. Findet zumindest die gütige Oma Bertha. Ihr kleiner Lieblingsenkel Hans-Peter hat sich bei Loriot beworben, er will die Rolle des Dicki in "Weihnachten bei Hoppenstedts" spielen. Ein wenig bekümmert sitzt er jetzt mit dem Antwortschreiben der Redakteurin am Küchentisch, tja leider, er sei noch zu jung dafür. Doch Bertha hat einen der schönsten Ratschläge auf Lager, der jemals erfunden worden ist: "Ja prima, Hans-Peter, brauchst nur noch älter werden."

Schlossberghalle Starnberg, der Saal ist überraschend voll. Festival-Ehrengast Caroline Link steht leger gekleidet vor und nach der Vorstellung ihres Hape-Kerkelings-Biopics von 2018, "Der Junge muss an die frische Luft", auf der Bühne und spricht über ihren sensationellen Hauptdarsteller Julius Weckauf und die anderen brillanten Schauspieler wie Luise Heyer, Joachim Król, Ursula Werner, Hedi Kriegeskotte und Rudolf Kowalski. Über die Rückverwandlung der Schauplätze in die Siebzigerjahre. Und über das Drehbuch von Ruth Thoma. Das Script sei ein Geschenk gewesen, sagt Link, sie habe sich sofort in dieser Welt mit großherzigen Omas und verrückten Tanten heimisch gefühlt, schließlich kenne auch sie das. Denn sie sei wie Kerkeling 1964 geboren und in der Provinz aufgewachsen, allerdings in der Hessischen.

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Es gibt viele himmelhoch jauchzende und tieftraurige Momente in dieser Recklinghausener Tragikomödie. Dabei kommt der Film, der auch eine Verbeugung vor dem Mutterwitz der Menschen aus dem Ruhrpott ist, ohne Klamauk und ohne schrille Farben aus. Die Details sind verblüffend stimmig, vom alten Telefunken-Fernseher bis zum nachgebauten Tante-Emma-Laden. Und vielleicht ertappen sich ein paar Zuschauer sogar bei dem Gedanken, dass es wunderbar gewesen wäre, wenn auch sie in einem so quirligen Clan aufgewachsen wären, und zugleich grauenhaft. Für beides gibt es Gründe: Das Beeindruckende an diesem Familien-Panoptikum ist ja, dass alle Hape mit Respekt behandeln. Der Junge, der später die Nation im Königin-Beatrix-Outfit becircen wird, will im Fasching als Prinzessin gehen? Ja klar, dazu ist der Karneval da, sagt sehr bestimmt Oma Änne. Er mag keine Suppe? Ist halt so, findet Opa Willi. Andererseits liegt ein schwerer Schatten auf dieser Kindheit: Hapes Mutter Margret versinkt in Depressionen, Hape heitert sie immer wieder auf, als schwebende Jungfrau von Wuppertal und mit Petersilie in den Ohren. Aber es hilft nichts. Margret nimmt sich das Leben. Hape liegt mit im Bett, als sie stirbt.

Caroline Link sagt nach der Vorführung, sie habe jetzt mit 55 verstanden, wie nahe der Krieg damals in den Siebzigern noch war. Die Menschen seien noch traumatisiert gewesen, in der sensiblen Margret "kam das eben nach oben", sie sei allein gewesen mit ihrer Traurigkeit, mit Depressionen, die heutzutage zumindest behandelt werden könnten. Und Hape Kerkeling litt darunter, dass sie ihm keinen Abschiedsgruß hinterlassen hat. Bei einem Gespräch mit Link in seiner Berliner Wohnung meinte er, "sie hätte mir einmal noch über den Kopf streicheln können".

Auf der Suche nach der Normalität in den Siebzigern: Caroline Link. (Foto: Jörg Reuther)

Genau wegen dieser bewegenden Kindheitsgeschichte habe sie den Film machen wollen. Sie habe sich dabei auf die Suche nach der "Normalität in den Siebzigern" begeben. Und natürlich sei der neunjährige, anfangs gar nicht so auffällige Julius Weckauf mit seiner Unbekümmertheit vor der Kamera ein Glücksfall gewesen. Seinem Vorbild Loriot ist Hape Kerkeling übrigens zwölf Jahre nach der missglückten Bewerbung begegnet. Die beiden waren 1989 die Galionsfiguren von Münsing und Recklinghausen im "Spiel ohne Grenzen". Hape gewann.

© SZ vom 11.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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