Fasching:Wie die venezianischen Masken nach Seefeld kommen

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Juliane Kroll ist Jahr für Jahr mit Freunden und selbst genähten Fantasie-Kostümen durch den Karneval am Canal Grande stolziert. Nun zeigt ihr Sohn die Unikate in seinem Laden.

Von Leonie Daumer, Seefeld

Die Packung kleiner Klopfer bleibt ungeöffnet, das Narrenkostüm hängt traurig im Schrank. Fasching, Partyschnaps und Prinzessinnen-Outfit? Schön wär's. Doch in Seefeld gibt es zumindest einen kleinen Trost: Schillernde venezianische Karnevalskostüme und die dazugehörigen Masken schmücken die Schaufenster eines Eisstockgeschäfts.

Wie kommt der wegen seiner Pracht berühmte Carnevale di Venezia ausgerechnet ins beschauliche Seefeld? Die Antwort weiß Juliane Kroll, die Mutter des "Eisstock 24"-Besitzers Björn Kroll. Julie, so ihr Spitzname, ist Künstlerin durch und durch. Die gelernte Grafikerin hat im Laufe ihres Lebens so ziemlich jedes Kunsthandwerk ausprobiert: vom Stricken über Weben bis hin zum Töpfern. Bei einem Besuch des venezianischen Karnevals 1996 war Julie Kroll von dem Faschingstreiben und vor allem von den kunstvollen Kostümen so begeistert, dass sie sich monatelang hinter die Nähmaschine setzte und "wie verrückt zu nähen" begann, sagt ihr Sohn. So entstanden über die Zeit mindestens 40 Karnevalskostüme, eine Auswahl davon ist nun als Sonderausstellung in Björn Krolls Laden zu sehen.

Doch die Kostüme waren nicht immer nur Schaustücke, sie mussten sich etliche Male tatsächlich am Canal Grande beweisen. Von 1998 an trommelte Julie Kroll jedes Jahr eine Truppe aus circa zehn Freunden und Familienmitgliedern zusammen. Alle bekamen von ihr ein maßgeschneidertes Kostüm, damit sie gemeinsam ein Karnevals-Wochenende in Venedig verbringen konnten.

"Ich wollte den richtigen Karneval sehen", sagt sie, "nicht diesen blöden deutschen, wo man nur betatscht wird." Beim Carnevale di Venezia gehe es dagegen um die Aufmerksamkeit, ums Gesehenwerden, nicht ums Anfassen. "Du bist da ein Teil eines großen Ganzen", schwärmt Julie Kroll, "dieses geheimnisvolle Umherwandeln in den schmalen Gassen, das habe ich alles in meinem Herzen mitgenommen."

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(Foto: Nila Thiel)

Björn Kroll und...

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(Foto: privat)

...seine Mutter.

Zum perfekten Auftritt der Karnevalsgruppe im choreografierten schreitenden Gang, gehört allerdings eine Menge Disziplin, für die Julie Kroll nicht selten selbst sorgen musste: "Ich bin vorangegangen, und die anderen sind hinter mir hergelaufen wie die Hühner. Wir waren eine Einheit, und wer da nicht mitmachen wollte, der war beim nächsten Mal nicht mehr dabei."

Kroll selbst trug als "Anführerin", wie sie sich nennt, alljährlich das Kostüm des weißen Harlekins und gab dem Rest ihrer Truppe vor, wie und wohin sie zu laufen hatten. Sie hatte sogar extra eine Flötistin dabei, die voranging und Platz für ihre Karnevalsprozession machte. Vor allem die Maske hat laut Julie Kroll dabei geholfen, sich in die durch das Kostüm vorgegebene Rolle hineinzuversetzen und dementsprechend zu verhalten - und nebenbei für das "geheimnisvolle Extra" gesorgt.

Von der Maske, über das aufwendige Kostüm bis hin zu den Schuhen entsprangen alle Karnevals-Outfits gänzlich Julie Krolls Fantasie. Die Stoffe für die Kleider holte sie sich meistens von einem kleinen Laden in Herrsching, für die Stiefel verschönerte sie alte Schuhe der Kostümträger, die Gipsmaske modellierte sie zuerst auf einer Glasform und passte sie dann an die individuellen Gesichtszüge der Person an, für die sie bestimmt war. "Du schaffst da jedes Mal ein neues Geschöpf", erklärt Julie Kroll, "aber wenn du Routine hast, dann weißt du genau, was du machen willst." So einfach, wie es sich anhören mag, war das Kostümschneidern aber keineswegs. Julie Kroll war schließlich noch berufstätig und arbeitete tagsüber im Familienunternehmen, dem Kroll-Verlag.

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(Foto: Nila Thiel)

Björn Kroll bringt mit den Kostümen, die seine Mutter genäht und mit Stern und...

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(Foto: Nila Thiel)

...Fisch dekoriert hat, Karnevalsflair nach Seefeld.

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(Foto: Hansjörg Eitzenberger)

Julie Kroll als weißer Harlekin beim Carnevale di Venezia 2006. Um trotz der überfüllten Straßen in Ruhe Fotos schießen zu können, stand die Gruppe früh auf.

So musste die Arbeit an der Nähmaschine in die Nacht verlegt werden - mehr als vier Stunden Schlaf bekam Julie Kroll in dieser Zeit selten. In diesen Nachtschichten entstanden ihre Hüte und Turbane mit einer Reihe von Fischen und Vögeln. Und auch die drei zusammengehörenden Kostüme mit Sonne, Mond und Sternen - jedes einzelne genau angepasst an die Person, die es später tragen sollte. Um seiner Mutter, die mit ihrer Karnevalszeit inzwischen abgeschlossen hat, eine Freude zu machen, hat Björn Kroll jetzt die Sonderausstellung ins Leben gerufen. Er wolle seine Verkaufsfläche für etwas nutzen, wenn er schon nicht verkaufen könne, sagt er. Die Kostüme sollen erst einmal bis zum 21. Februar in Seefeld zu sehen sein, auch über die Faschingszeit hinaus. Verkäuflich sind sie nicht. Für die Zukunft könnten er und seine Frau sich auch vorstellen, die Unikate an Karnevalsveranstalter oder Kulturvereine zu verleihen. Und vielleicht können ihre Kinder, Julie Krolls Enkel, sie ja eines Tages auch beim Carnevale di Venezia tragen.

© SZ vom 16.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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