Enkelin:Franz und Fritz

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Erinnerungen an eine innige Verbindung

Von Stephanie Schwaderer, Kochel am See

Als Jugendliche hat Aja von Lerchenhorst regelmäßig das Zimmer verlassen, wenn das Gespräch auf Franz Marc kam: "Franz Marc, Franz Marc - es ging immer um ihn", erzählt sie. "Damals konnte ich das nicht mehr hören." Heute sitzt sie in der Stube ihres alten Bauernhauses in Ried, vor sich einen Stapel Bücher und einen schwerer Ordner, prall gefüllt mit Briefen, und würde gern viel mehr wissen über den Maler, seine Frauen und Freunde. Einer von ihnen war der Kunsthistoriker Fritz Burger, ihr Großvater - ein Mann, der Marc im Leben wie im Tod offenbar eng verbunden war.

Aja von Lerchenhorst hat ihn nie kennengelernt. Er starb am 22. Mai 1916 bei Verdun. "Wenige Wochen nach Franz Marc", sagt die 66-Jährige und blättert in Papieren. Der Bogen, den sie herauszieht, ist eng mit kleinen Buchstaben bedruckt, "März 1916" steht feinsäuberlich oben links. Eine Cousine hat vor Jahren alle Briefe abgetippt, die der Großvater einst an seine Frau geschrieben hatte, fast 300 sind es. Der Brief beginnt mit den Worten "Mein Liebling! Heute, an dem Tage, da ich das Bild ,Es werde Licht' vollendete, wo ich die empfangenen Eindrücke von Marc in einem selbständigen Bilde verwertete, erhalte ich die Nachricht von seinem Tode. Es ist der schrecklichste Verlust, den die deutsche Kunst in diesen Tagen zu erleiden hat. Sein Tod geht mir schrecklich nahe, denn ich hatte gerade von ihm noch viel erwartet."

Fritz Burger, wie ihn seine Enkelin schildert, war ein blitzgescheiter Draufgänger, ehrgeizig, chaotisch, genial. Im Jahr 1906 hatte er eine Privatdozentur für Kunstgeschichte an der Universität in München übernommen, zudem lehrte er an der Kunstakademie. "Er war einer der ersten, die über Franz Marc geschrieben haben", sagt Aja von Lerchenhorst. "Und zugleich wollte er das Kunstschaffen auf ganz neue Weise, von innen heraus, begreifen." Deshalb sei er mit seinen Studenten zu Wassily Kandinsky und Marc aufs Land gefahren. "Deshalb hat er auch selbst begonnen, in der Art Marcs zu malen."

In ihrem Haus, das das Rieder Kindertheater beherbergt, findet man kein blaues Pferd und keine gelbe Kuh. Wohl aber ein Selbstporträt Burgers, in dem Marc gleichsam durchschimmert. Es zeigt einen stolzen Mann mit verwegenem Blick, die blaue Jacke bis tief in die Brust geöffnet. Ein Geschenk an seine Frau Clara. Burger hatte die Tochter eines Heidelberger Archäologie-Professors geschwängert, als diese gerade einmal 15 Jahre alt war, danach waren sie gemeinsam durchgebrannt.

1916 saß Clara allein mit vier Kindern da. Ihr Klavierlehrer vermachte ihr sein Haus in Ried zu äußerst günstigen Konditionen. Zehn Minuten Fußweg waren es von dort zu einer guten Freundin - Maria Marc. Aja von Lerchenhorst ist sich sicher, dass die beiden Witwen viel Zeit miteinander verbracht haben. Auch in der Stube, in der sie heute sitzt. Erinnerungen an diese Begegnungen hat sie nicht. Die Namen Franz und Fritz dürften jedoch häufig gefallen sein.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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