Ehrenamt:Die Glücksfeen

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Um schwerkranken Kindern Wünsche zu erfüllen, haben Gundula Schmid (links) und Martina Nusser den Verein "Glücksmomente" gegründet. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Gundula Schmid und Martina Nusser aus Pöcking erfüllen mit dem Verein "Glücksmomente" die Wünsche schwerkranker Kinder und begleiten sie - manchmal sogar bis ans Lebensende.

Von Madeleine Rieger, Pöcking

Immer wieder klingelt das Handy in dem großen Holzhaus in Pöcking. Gundula Schmid telefoniert in der Küche ihres Zuhauses, die Kaffeemaschine läuft. Martina Nusser sortiert währenddessen Teddybären. Die beiden Frauen sind viel beschäftigt. Bei ihnen geht es darum, mal wie Heidi auf einer Alm zu leben, das Bergretter-Team zu treffen oder auch einen Drachen auf der Insel Sylt steigen zu lassen. Vor allem aber geht es darum, wie man es schaffen kann, schwerkranken Kindern mit psychischen Erkrankungen, Herzfehlern oder Krebsdiagnose ein paar Momente der Unbeschwertheit zu bereiten. Möglich macht dies der Verein "Glücksmomente für schwer erkrankte Kinder".

Martina Nusser ist 59 Jahre alt und gelernte PR-Fachwirtin; Gundula Schmid, 56, hat eine Schneiderlehre absolviert, Betriebswirtschaft studiert und dann in der IT-Firma ihres Mannes gearbeitet. Doch diese Zeit liegt lange zurück: Heute sind sie in Vollzeit ehrenamtlich für schwerkranke Kinder unterwegs. "Wir sind rund um die Uhr für die Familien erreichbar", sagt Schmid. Das ist auch notwendig, denn die beiden Pöckingerinnen engagieren sich in einem Umfeld, in dem oft genug jeder Tag zählt.

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Nusser und Schmid sind beide am Starnberger See geboren und "kennen uns eigentlich schon immer", sagt Schmid. Über ihre Ehemänner und einen gemeinsamen Bekanntenkreis haben sie sich angefreundet. Schon während ihrer Berufstätigkeit engagierten sich die beiden Frauen sozial: Schmid war jahrelang für einen Verein mit Sitz in Münster tätig, der kranken Kindern zur Seite steht. Über dessen nachlassendes Engagement während der Corona-Pandemie war die zweifache Mutter jedoch enttäuscht. Sie schüttelt noch immer verständnislos den Kopf darüber, denn schwerkranke Kinder gab es auch zu Corona-Zeiten. "Sie vereinsamten in Krankenhäusern", sagt Schmid, "weil sie kaum Besuch empfangen durften".

Und so kam ihr Anfang 2022 gemeinsam mit ihrer Freundin die Idee, selbst einen Verein zu gründen, der sich um die Anliegen von kranken Mädchen und Buben kümmert. Seither schaffen sie iPads oder Handys an, ermöglichen Kindern einen Ausflug ins Disneyland oder ins Eiskönigin-Musical nach Hamburg. Etwa 70 Herzenswünsche haben die beiden seither erfüllt. Möglich ist das nur, weil die beiden dank der Positionen ihrer Ehemänner nicht auf bezahlte Arbeit angewiesen sind. "Da sind wir privilegiert", sagt Schmid.

Benedikts größter Wunsch war eine eigene Werkbank. Sie wartete nach seiner Reha zu Hause auf ihn. (Foto: Verein "Glücksmomente")

Auch ihre Ehemänner wurden Teil des Teams. Sie kümmern sich nicht nur um die finanzielle Verwaltung der Vereins, sondern leisten ihren Frauen auch seelischen Beistand. Die noch fehlenden drei Mitglieder, die es für die Vereinsgründung brauchte, fanden sich ebenfalls im Familienumfeld. Die Vereinsarbeit findet in den Wohnhäusern der beiden Frauen statt. Vom Garten der Familie Schmid aus hat man einen herrlichen Blick auf den Starnberger See.

Dass sie beide schon zuvor im ehrenamtlichen Bereich aktiv waren, bezeichnen die beiden als "Glück". Dadurch konnten sie sich viel Unterstützung im Bekanntenkreis holen und wichtige Kontakte knüpfen. Ein gutes Startkapital haben sie etwa in der Zusammenarbeit mit dem Regensburger Sternekoch Anton Schmaus erwirtschaftet: Bei einem Benefiz-Dinner sammelten sie Geld für ihren neu gegründeten Verein, zuletzt kamen bei einem Golf-Charity-Turnier knapp 6000 Euro zusammen.

Geldspenden statt Blumen am Grab

Insgesamt habe sich alles innerhalb kürzester Zeit sehr gut entwickelt, sagt Martina Nusser. Mehr als 230 000 Euro Spenden haben sie ihren Angaben zufolge seit der Vereinsgründung schon gesammelt. Die 59-Jährige verweist auf gemeinsame Freunde, die sich in den vergangenen Jahren zum Geburtstag anstelle von Geschenken lieber Geld für den Verein "Glücksmomente" wünschten. Finanzielle Hilfe bekommen sie auch von Eltern, die Kinder verloren haben. Diese bitten ihre Angehörigen oft, an den Pöckinger Verein von Nusser und Schmid zu spenden, statt Blumen auf die Gräber zu legen.

"Wir sammeln nicht bloß irgendwo Geld ein", betont Nusser, "wir wissen auch wirklich, wo es hingeht". Aus dem Bekanntenkreis würden viele spenden, weil sie sehen, dass die beiden Frauen fast jeden Tag in die Kliniken gehen. Zwar haben sie weder eine medizinische noch eine psychologische Ausbildung. Doch genau das würden viele Familien abseits des Klinikalltags suchen, meint Nusser. Deshalb sind die Vereinsgründerinnen nicht nur für die kranken Kinder, sondern auch für deren Eltern und Geschwister da. Manchmal gehen sie auch einfach nur zusammen essen - und reden.

Mehr als 15 Jahre lang haben sie einen jungen Mann begleitet, der an Krebs erkrankt war

Für Familien werden sie zu einer großen Stütze - oft auch nach dem Tod der Kinder. Martina Nusser hat Tränen in den Augen, als sie von einem 27-Jährigen berichtet, den sie 15 Jahre lang begleitet hat. Viermal hatte der junge Mann Krebs, im vergangenen Dezember ist er dann gestorben. "Wir können uns nicht vorstellen, wie es den Hinterbliebenen geht", sagt sie. Um trauernde oder erschöpfte Familien zusammenzubringen, organisieren die beiden jährlich kurz vor Weihnachten einen gemeinsamen Ausflug ins GOP-Varietétheater nach München. Darüber freuen sich besonders sozial benachteiligte Familien, die sich an den Verein "Glücksmomente" wenden.

Nusser und Schmid bemühen sich zwar hauptsächlich darum, individuelle Wünsche umzusetzen. Beinahe ebenso wichtig ist ihnen aber auch die Organisation von Gemeinschaftsaktionen. Hier sind sie auf die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen angewiesen. "Dafür haben wir zum Beispiel die Moni", sagen die beiden fast einstimmig. Ohnehin beendet eine der beiden oft die Sätze der anderen: Sie sind im Lauf der Jahre ein eingespieltes Team geworden.

"Die Moni" ist Monika Posmik, eine Sozialpädagogin. Sie fährt mit einem mobilen Streichelzoo direkt in die Innenhöfe von Kliniken und lässt kleine Patientinnen und Patienten Meerschweinchen und Hasen streicheln und bürsten. Auch ein Alpaka namens "Nacho" ist meistens mit dabei. Das ist dann für Kinder, die ihr Zimmer nicht verlassen können, eine Sensation: Sie verfolgen das Spektakel vom Fenster aus.

Die Tiere von "Monis Kleiner Farm" sind zu Besuch im Dr. von Hauner'schen Kinderspital in München. (Foto: Verein "Glücksmomente")

Die Vereinsgründerinnen haben viel gesehen und erlebt in den Jahren als Ehrenamtliche. Da ist zum Beispiel das Mädchen, das zum wiederholten Mal an Krebs erkrankt. Oder der Bub', dessen Leben seit Monaten an einem künstlichen Herz hängt. Oder auch das tragische Schicksal eines jungen Mannes, der auf der Palliativstation stirbt. Wie verarbeitet man das tagtäglich? "Man darf nicht immer mitweinen", sagt Martina Nusser mit ihrer weichen Stimme und dem bayerischen Akzent. Nusser und Schmid stützen sich oft gegenseitig, sie telefonieren regelmäßig nach ihren Terminen.

Und oft gibt es auch hellere Momente: "Wir haben so viel Freude daran, wenn wir sehen, wie es weitergeht", sagt Schmid. Vor ihr auf dem Tisch liegen Teddybären, die sie in den nächsten Tagen an Kinder in den Kliniken verteilen wird, die Kuscheltiere sollen Mut machen. Die meisten Patienten, die sie betreuen, besiegen ihre Krankheiten. Anders würden sie ihren Job auch nicht schaffen, sagen sie. Mitverfolgen zu dürfen, wie die Jungen und Mädchen Monate nach der Wunscherfüllung weiterkämpfen: Das sei am Ende der Lohn, den sie für ihr Engagement bekommen, sagt Schmid.

Lenis Glücksmoment: Ein Flug im Hubschrauber der Serienstars "Die Bergretter". (Foto: Verein "Glücksmomente")

Manche Wünsche aber lassen sich wegen des schlechten Gesundheitszustandes der Kinder und Jugendlichen nicht realisieren. Dann wird nach Alternativen gesucht. Manches andere klappt dafür besser als gedacht - auch, wenn es den beiden viel Organisationstalent abverlangt. Besonders gefreut hat Schmid sich dieses Jahr über zwei Glücksmomente: Ein Mädchen durfte auf einem Polizeipferd reiten, ein anderes im Hubschrauber aus der Serie "Die Bergretter" mitfliegen. Natürlich können Nusser und Schmid nicht immer bei allen Aktionen dabei sein. Bei Treffen mit Prominenten sind sie oft anwesend, um den Kindern Berührungsängste zu nehmen. Manchmal schicken sie auch ihre eigenen Kinder zu den Wunscherfüllungen, wenn es etwa um einen Shopping-Trip geht. "Da sind die jungen Mädchen dann lieber mit einer unserer Töchter unterwegs", sagt Nusser schmunzelnd.

Neulich war eine Jugendliche allerdings beinahe empört darüber, dass Schmid und Nusser nicht mit auf die gewünschte Reise nach Madrid kamen. Die drei Tage in der spanischen Hauptstadt waren dennoch eine gelungene Abwechslung nach der Krebstherapie in der Klinik. Der Traum der "Glücksmomente"-Mütter ist es, irgendwann ein Ferienhaus am Meer einzurichten, in dem regelmäßig kranke Kinder mit ihren Familien Urlaub machen können. Bis das notwendige Geld dafür zusammen ist, werden die Herzenswünsche weiterhin am Starnberger See erfüllt.

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