Dießen:Tankstellen angezapft

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Der Maler Martin Gensbaur aus Dießen porträtiert scheinbar banale Zweckbauten. Nun erklärt er, warum

Von Armin Greune, Dießen

Immer wieder muss er sich erklären, egal ob beim Malen im Freien oder bei Ausstellungen. Was den Maler Martin Gensbaur an Tankstellen - insbesondere an stazioni di servizio - fasziniert, bleibt für viele Bewohner der italienischen Provinz ebenso rätselhaft wie für manchen Betrachter in seinem Dießener "Kunstfenster". In der gleichnamigen Schriftenserie ist nun zum Thema "Tankstellen basta!" der 4. Band erschienen, der Auskunft über die Motive des Künstlers für seine Motivwahl gibt - in zehn Bildern wie in zehn Texten. Lyrik und fein elaborierte Prosa stammen vom Dießener Hörspielautor und Dichter Sebastian Goy, der das gemeinsame Werk mit Gensbaur und der Schauspielerin Elisabeth Günther nun am letzten seiner "Letzten Montage" vorgestellt hat.

13 Jahre lang hat Goy zu seiner Veranstaltungsserie unter der Schirmherrschaft des Heimatvereins in Dießen jeweils am letzten Montag des Monats eingeladen: zunächst ins K7, dann ins "Kultcafé" und schließlich seit 2011 in den Gasthof "Maurerhansl". Dort wird die Reihe mit Filmvorführungen, Konzerten, Lesungen, Vorträgen und Diskussionen auch im kommenden Jahr fortgesetzt - allerdings nicht mehr unter dem doppeldeutigem Etikett, sondern als "Letzte Sonntage". Damit folgt er dem Wunsch des Publikums nach umfassenderer Bewirtung, denn der Maurerhansl hat sonntags geöffnet, während zu Wochenbeginn dort eigentlich Ruhetag ist.

Er holt den Tiger aus dem Tank: Mit seinen Tankstellen- bildern gewinnt Martin Gensbaur den Zweckbauten, die er meist in der Toskana aufspürt, eine unvermutete Ästhetik ab. (Foto: Franz X. Fuchs)

Und auch Gensbaur wird seine Serie trotz des ultimativen "Basta!" im Titel von "Kunstfenster 4" fortsetzen. Im Maurerhansl beginnt er seine Rechtfertigung mit dem Foto der Dießener Tankstelle Hirschauer im herbstlichen Niesel. Es folgen ein Video und eine virtuelle Fahrt entlang der Via Aurelia mit Hilfe von Google Earth und Google Views, der Gensbaur seine Ölbilder gegenüberstellt. Kein Zweifel: An seinem zweiten Wohnsitz Scarlino in der südlichen Toskana "sind die Bedingungen einfach günstiger" - vor allem, wenn sich ein Künstler der Pleinair-Malerei verschrieben hat. Doch statt sich bukolischen Landschaften zu widmen, fängt Gensbaur "der Brachen brachiale Leere" ein, wie es Goy formuliert: Mit Ölfarben und Staffelei schafft er minutiöse Darstellungen von Straßenmeistereien, Kreisverkehren, Industriegebäuden. Vor allem aber porträtiert er gegen den leuchtendem Himmel - "man möge es Gensbaurlicht nennen", so Goy - immer wieder alte Bekannte: Salvatores Esso-Station oder die Q8-Easy-Tanke vor und nach der Renovierung. Und die neue "B.FUEL" an der Vecchia Aurelia in Follonica "haben sie nur für mich gebaut", meint Gensbaur und grinst selbstironisch.

Unter seinem Künstlerblick entwickeln vordergründig banale Zweckbauten eine imposante Identität und unvermutete Ästhetik. Als er einmal vor einer aufgegebenen Pumpstation an der Arbeit war, den "Kampf Technik gegen Pinie" festzuhalten, hielt ein "Angebercabrio" mit zwei jungen Schnöseln neben ihm, erzählt der Maler: Sie entpuppten sich als Architekturstudenten, die sich bewundernd über die futuristische Eleganz alter Agip-Tankstellen äußerten, bevor sie weiterbrausten. Künstlerkollegen am Ort "malen inzwischen auch Leitplanken, aber die Skepsis unter den Scarlinesen bleibt", sagt Gensbaur.

Mit seinen Darstellungen von Ödnissen steht er natürlich nicht alleine da. Er rückt Unorte ins Blickfeld, wie es der gefeierte Elmar Haardt in großformatigen Fotografien tut. Gensbaurs Tankstellen strahlen dieselbe Verlassenheit wie die Bilder Edward Hoppers aus - nur dass der Dießener keine desolaten Menschen dazu braucht. Im Gegenteil: "Die Abwesenheit von Wirbeltieren und Blechkutschen", wie Goy schreibt, ist für die postapokalyptischen Tankstellenbilder essenziell. Und mit dem Bildtitel "Piazza d'Italia" nimmt Gensbaur bewusst Bezug auf Giorgio de Chirico, den Hauptvertreter der Pittura metafisica, der schon vor 100 Jahren verwaiste Plätze und Arkaden mit harten Schatten malte.

Zu Gensbaur ist Goy, der sich "mental schon relativ lange in seinen Bildern herumtreibt", Geistreiches und Amüsantes eingefallen: Etwa die Szene, wie "italienische Fahnder im Kofferraum eines Autos mit deutschem Kennzeichen zwar auf keine Leiche, aber auf Gemälde von Tankstellen stoßen". Gensbaur wiederum schildert die Anekdote, wie ein Bub ihm bei der Arbeit zusah und dann vorwurfsvoll meinte: "Der malt sich selber sein Bild ab." Das stimme, "ich nehme etwas Geistiges und Materielles weg von diesen Orten", sagt der Maler und Kunsterzieher. An der Via Aurelia "kann ja nach 25 Jahren nichts mehr da sein". Und an der Brenner-Autobahn müsste ein Loch auffallen: Dort stand die Tankstelle, die Gensbaur 15 Mal für die Vorzugsausgabe des Kunstfensters 4 abgemalt hat.

Unter dem Künstlerblick von Martin Gensbaur entwickeln vordergründig banale Zweckbauten eine imposante Identität und unvermutete Ästhetik. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Kunstfenster 4 ist im scaneg-Verlag München erschienen (ISBN 978-3-89235-244-0). An diesem Freitag, 19 Uhr, wird die Ausstellung in Gensbaurs Dießener Kunstfenster, Hofmark 13, eröffnet. Sie kann am 2./3. und 9./10. Dezember, jeweils von 16 bis 19 Uhr besichtigt werden. Dazu gibt es am 9. Dezember, 14 Uhr, eine Aktion für Kinder von 8 bis 12 Jahren: In einer K@pierwerkstatt können sie Gensbaurs Bilder mit eigenen Ideen bereichern. Die Ergebnisse werden auf der Webseite des Kunstfensters gezeigt und als E-Mail verschickt. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Anmeldung: 08807/948088.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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